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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einer fremden Frau gehörten. Schließlich sagte sie leise: »Wie kann es sein, dass wir nichts bemerkt haben?«
    »Es ist durchaus möglich, eine Schwangerschaft zu verheimlichen. Es ist schon vorgekommen, dass Teenager ihren Zustand erfolgreich vor der eigenen Mutter verborgen haben. Manche Frauen verleugnen ihre Schwangerschaft bis zur Geburt sogar vor sich selbst. Camille hat vielleicht auch die Augen vor der Realität verschlossen. Ich muss gestehen, ich war selbst von diesem Resultat der Autopsie sehr betroffen. Damit hätte ich nun wirklich niemals gerechnet bei...«
    »... bei einer Nonne«, ergänzte Mary Clement. Sie sah Maura unverwandt an.
    »Ich will damit nicht sagen, dass Nonnen nicht auch Menschen sind.«
    Ein schwaches Lächeln. »Danke, dass Sie uns das immerhin zugestehen.«
    »Und sie war noch so jung.«
    »Glauben Sie, dass nur die Jungen mit der Versuchung zu kämpfen haben?«
    Maura dachte an ihre unruhige Nacht zurück. An Victor, der nur eine Tür weiter geschlafen hatte.
    »Im Laufe unseres Lebens«, sagte Mary Clement, »begegnen wir immer wieder den verschiedensten Verlockungen. Gewiss, die Versuchungen ändern sich mit den Jahren. Wenn wir jung sind, ist es vielleicht ein hübscher Bursche. Später dann Süßigkeiten oder andere Speisen. Und dann, wenn wir alt und müde werden, vielleicht einfach nur die Aussicht, morgens ein Stündchen länger zu schlafen. So viele banale Wünsche und Begehrlichkeiten – nur dass wir sie uns nicht eingestehen dürfen. Unser Gelübde unterscheidet uns von anderen Menschen. Es ist gewiss eine Freude, den Schleier tragen zu dürfen, Dr. Isles. Aber Vollkommenheit ist eine Bürde, die keine von uns so ohne weiteres schultern kann.«
    »Am allerwenigsten eine so junge Frau.«
    »Es wird nicht leichter mit dem Alter.«
    »Camille war erst zwanzig. Sie muss gewisse Zweifel gehabt haben, was ihr ewiges Gelübde betraf.«
    Mary Clement gab zunächst keine Antwort. Sie starrte aus dem Fenster, durch das nur eine kahle Wand zu sehen war. Eine Aussicht, die sie jeden Tag daran erinnern musste, dass ihre Welt durch steinerne Mauern begrenzt war. Endlich sagte sie: »Ich war einundzwanzig, als ich mein ewiges Gelübde ablegte.«
    »Und hatten Sie irgendwelche Zweifel?«
    »Nein, niemals.« Sie sah Maura in die Augen. »Ich wusste, dass ich das Richtige tat.«
    »Was gab Ihnen die Gewissheit?«
    »Gott. Er hat zu mir gesprochen.« Maura schwieg.
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte Mary Clement. »Dass nur Psychotiker Stimmen hören. Nur Verrückte behaupten, dass die Engel zu ihnen sprechen. Sie sind Ärztin, und Sie sehen vermutlich alles mit den Augen der Wissenschaftlerin. Sie werden mir sagen, dass es nur ein Traum war. Oder eine Störung des chemischen Gleichgewichts. Eine schizophrene Episode. Ich kenne die ganzen Theorien. Ich weiß, was über die heilige Johanna von Orleans gesagt wird – dass es eine Wahnsinnige war, die damals auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Das ist es doch, was Ihnen durch den Kopf geht, nicht wahr?«
    »Ich bin nun einmal nicht gläubig.«
    »Aber Sie waren es einmal?«
    »Ich wurde katholisch erzogen. Das war der Glaube meiner Adoptiveltern.«
    »Dann sind Sie mit den Lebensgeschichten der Heiligen vertraut. Viele von ihnen haben Gottes Stimme gehört. Wie erklären Sie sich das?«
    Maura zögerte, weil sie wusste, dass ihre Antwort die Äbtissin wahrscheinlich verletzen würde. »Auditive Halluzinationen werden häufig als religiöse Erlebnisse gedeutet.«
    Wider Erwarten schien Mary Clement keineswegs gekränkt. Sie blickte Maura nur ruhig in die Augen. »Wirke ich auf Sie wie eine Geistesgestörte?«
    »Nein, keineswegs.«
    »Und doch sitze ich hier und erzähle Ihnen, dass ich die Stimme Gottes gehört habe.« Ihr Blick schweifte wieder zum Fenster ab. Zu der grauen Wand, auf deren Steinen Eiskristalle glitzerten. »Sie sind erst der zweite Mensch, dem ich das erzähle, denn ich weiß, wie die Leute darüber denken. Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte. Wenn man erst achtzehn ist und den Ruf des Herrn hört, was bleibt einem da anderes übrig als zuzuhören?«
    Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sagte leise:
    »Ich hatte damals einen Verehrer, wissen Sie. Es gab da einen Mann, der mich heiraten wollte.«
    »Ja«, sagte Maura. »Das hatten Sie erwähnt.«
    »Er hat es nicht verstanden. Niemand verstand, warum eine junge Frau wie ich vor dem Leben davonlaufen wollte. So hat

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