Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
er es genannt. Als ob es Feigheit wäre, wenn ich meinen Willen dem Gottes unterordne. Natürlich hat er versucht, mich umzustimmen. Meine Mutter ebenso. Aber ich wusste, was ich tat. Ich wusste es von dem Augenblick an, da ich den Ruf hörte.
    Ich stand im Garten hinter dem Haus und lauschte den Grillen. Und da hörte ich Seine Stimme, laut und deutlich. Und ich wusste, was meine Bestimmung war.« Sie sah Maura an, die nervös auf ihrem Stuhl hin und her rutschte und nur hoffte, dass das Gespräch bald beendet sein würde. Dieses Gerede von göttlichen Stimmen bereitete ihr Unbehagen.
    Maura sah auf ihre Uhr. »Ehrwürdige Mutter, ich muss jetzt leider gehen.«
    »Sie fragen sich, warum ich Ihnen das erzähle.«
    »Ja, allerdings.«
    »Ich habe es außer Ihnen nur einem Menschen erzählt. Wissen Sie, wem?«
    »Nein.«
    »Schwester Camille.«
    Maura blickte in die von den Brillengläsern verzerrten blauen Augen. »Warum ausgerechnet Camille?«
    »Weil sie die Stimme auch gehört hat. Deswegen kam sie zu uns. Sie kam aus einer enorm reichen Familie. Aufgewachsen ist sie in einer Villa in Hyannisport, nicht weit vom Familiensitz der Kennedys. Aber sie wurde zu diesem Leben berufen, genau wie ich damals. Wenn Sie berufen werden, Dr. Isles, dann wissen Sie, dass Ihnen Gottes Segen zuteil geworden ist, und Sie antworten mit Freude im Herzen. Camille hatte keine Zweifel bezüglich ihres Gelübdes. Sie hatte ihr Leben diesem Orden geweiht.«
    »Und wie sollen wir uns dann ihre Schwangerschaft erklären? Wie ist das passiert?«
    »Diese Frage hat bereits Detective Rizzoli gestellt. Aber sie wollte nur Namen und Daten hören. Welche Handwerker haben das Kloster betreten? In welchem Monat hat Camille ihre Familie besucht? Die Polizei ist nur an konkreten Details interessiert, nicht an spirituellen Dingen. An Camilles Berufung.«
    »Aber sie ist nun einmal schwanger geworden. Entweder war es ein Moment der Versuchung – oder sie wurde vergewaltigt.«
    Die Äbtissin schwieg einen Moment und blickte wieder auf ihre Hände herab. Dann sagte sie leise: »Es gibt noch eine dritte Erklärung, Dr. Isles.«
    Maura runzelte die Stirn. »Und welche wäre das?«
    »Sie werden darüber spotten, das weiß ich. Sie sind Ärztin. Sie verlassen sich wahrscheinlich auf Ihre Labortests, auf das, was Sie unter dem Mikroskop sehen können. Aber hat es nicht auch in Ihrem Leben Momente gegeben, in denen Sie mit dem Unerklärlichen konfrontiert waren? Wenn ein Patient, der eigentlich tot sein sollte, plötzlich wieder zum Leben erwachte? Haben Sie nicht auch Wunder erlebt?«
    »Jeder Arzt erlebt im Laufe seines Berufsleben so manche Überraschung.«
    »Ich spreche nicht von bloßen Überraschungen. Sondern von Dingen, die Sie zutiefst in Erstaunen versetzen. Die auch die Wissenschaft nicht erklären kann.«
    Maura dachte an ihre Zeit als Assistenzärztin am San Francisco General zurück. »Es gab da eine Frau mit Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
    »Das ist unheilbar, nicht wahr?«
    »Ja. Die Diagnose kommt fast einem Todesurteil gleich. Sie hatte im Grunde keine Überlebenschance. Als ich sie das erste Mal sah, war sie angeblich schon im Endstadium. Verwirrt und ausgezehrt, die Haut gelblich verfärbt. Die Ärzte hatten beschlossen, die künstliche Ernährung einzustellen, weil sie dem Tode schon so nahe war. Ich erinnere mich noch an die Anweisungen im Krankenblatt – es sollte lediglich versucht werden, ihre Beschwerden zu lindern. Das ist das Einzige, was man am Ende noch tun kann. Die Schmerzen eindämmen. Ich war überzeugt, dass ihr Tod nur noch eine Frage von Tagen war.«
    »Aber sie hat Sie verblüfft.«
    »Eines Morgens wachte sie auf und sagte der Schwester, sie habe Hunger. Vier Wochen später wurde sie entlassen.«
    Die Äbtissin nickte. »Ein Wunder.«
    »Nein, Ehrwürdige Mutter.« Maura begegnete ihrem Blick. »Eine Spontanremission.«
    »Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass Sie nicht wissen, was passiert ist.«
    »Remissionen kommen bisweilen vor. Ein Krebs kann sich von selbst zurückbilden. Oder vielleicht war die Diagnose von Anfang an falsch.«
    »Oder es war etwas anderes. Etwas, was die Wissenschaft nicht erklären kann.«
    »Sie wollen, dass ich sage, es war ein Wunder?«
    »Ich will, dass Sie auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. So viele Menschen, die dem Tod sehr nahe waren, berichten, dass sie ein helles Licht gesehen haben. Oder sie sahen ihre verstorbenen Lieben, die ihnen sagten, dass ihre Zeit noch

Weitere Kostenlose Bücher