Todsünde
durchnässten Stoff entstehen lassen.
Detective Frost brach das Schweigen schließlich. »Wie konnte sie das nur tun? Ihr Baby einfach so ins Wasser werfen?«
Maura streifte die Latexhandschuhe ab und steckte ihre gefühllosen Finger wieder in die Wollfäustlinge. Sie dachte an die hellblaue Decke, in die das Baby gehüllt war. Warme Wolle, wie die ihrer Handschuhe. Camille hätte alles Mögliche
benutzen können, um ihr Kind einzuwickeln – Zeitungen, alte Bettlaken, Lumpen –, aber sie hatte eine Wolldecke gewählt, wie um es vor dem eiskalten Wasser des Teichs zu schützen.
»Ihr eigenes Kind zu ertränken«, sagte Frost. »Sie muss doch den Verstand verloren haben.«
»Das Baby war vielleicht schon tot.«
»Na gut, dann hat sie es eben vorher umgebracht. Trotzdem eine Wahnsinnstat.«
»Wir können noch nichts dazu sagen. Nicht, bevor wir das Ergebnis der Autopsie kennen.« Mauras Blick ging zurück zum Kloster. Drei Nonnen standen wie schwarz gekleidete Geister unter dem Torbogen und beobachteten sie.
»Haben Sie Mary Clement schon Bescheid gesagt?«, fragte sie Rizzoli.
Rizzoli gab keine Antwort. Sie fixierte immer noch den Fund, den der Teich preisgegeben hatte. Es brauchte nur ein Paar Hände, um das kleine Bündel in einen viel zu großen Leichensack zu stecken und den Reißverschluss zuzuziehen. Bei dem harschen Geräusch zuckte sie zusammen.
»Wissen die Schwestern Bescheid?«, fragte Maura erneut.
Jetzt endlich erwiderte Rizzoli ihren Blick. »Wir haben ihnen gesagt, was wir gefunden haben.«
»Die Schwestern müssen doch einen Verdacht haben, wer der Vater sein könnte.«
»Sie leugnen, dass Camille überhaupt schwanger gewesen sein kann.«
»Aber der Beweis liegt doch hier vor uns.«
Rizzoli schnaubte verächtlich. »Der Glaube ist stärker als alle Beweise.«
Der Glaube woran?, fragte Maura sich. An die Tugend einer jungen Frau? Kein Kartenhaus war doch so wacklig wie das Vertrauen in die menschliche Keuschheit.
Sie verstummten, als der Leichensack abtransportiert wurde. Es war nicht nötig, eine Bahre durch den Schnee heranzuschaffen; der Helfer hatte das Bündel bereits so behutsam in den Arm genommen, als ob es sich um sein eigenes Kind handelte, und marschierte jetzt mit grimmiger Miene durch den eisigen Wind auf das Klostertor zu.
Das Läuten von Mauras Handy zerriss die respektvolle Stille. Sie klappte es auf und meldete sich leise: »Dr. Isles.«
»Ich wollte mich entschuldigen, weil ich heute Morgen gefahren bin, ohne auf Wiedersehen zu sagen.«
Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss und ihr Herz zu rasen begann. »Victor.«
»Ich musste nach Cambridge zu meinem Termin und wollte dich nicht wecken. Ich hoffe, du hast nicht geglaubt, ich wollte mich einfach so davonstehlen.«
»Habe ich aber, wenn du’s genau wissen willst.«
»Können wir uns später treffen – zum Essen?«
Sie zögerte, als ihr plötzlich klar wurde, dass Rizzoli sie beobachtete. Und als sie sich ihrer körperlichen Reaktion auf Victors Stimme bewusst wurde. Der beschleunigte Puls, die gespannte Erwartung. Schon hat er wieder seinen Platz in meinem Leben besetzt. Und schon fange ich an, über die Möglichkeiten nachzudenken.
Sie wich Rizzolis Blick aus und senkte ihre Stimme zu einem Murmeln. »Ich weiß nicht, wann ich heute Schluss machen kann. Es gibt sehr viel zu tun im Moment.«
»Du kannst mir beim Abendessen von deinem Tag erzählen.«
»Die Ereignisse überschlagen sich jetzt schon.«
»Irgendwann musst du schließlich was essen, Maura. Darf ich dich einladen? In dein Lieblingsrestaurant?«
Zu schnell, zu ungeduldig antwortete sie: »Nein, wir treffen uns bei mir zu Hause. Ich werde versuchen, um sieben dort zu sein.«
»Ich erwarte nicht, dass du mich bekochst.«
»Dann überlasse ich dir das Kochen.« Er lachte. »Du bist ja ganz schön mutig.«
»Wenn ich mich verspäten sollte, kommst du durch die Seitentür zur Garage rein. Du weißt wahrscheinlich noch, wo du den Schlüssel findest.«
»Erzähl mir nicht, dass du ihn immer noch in diesem alten Stiefel versteckst.«
»Bis jetzt hat ihn noch niemand gefunden. Also, wir sehen uns heute Abend.«
Sie legte auf und stellte fest, dass inzwischen sowohl Rizzoli als auch Frost sie interessiert beobachteten.
»Heißes Date?«, fragte Rizzoli.
»In meinem Alter kann ich froh sein, wenn ich überhaupt noch ab und zu ein Date habe«, erwiderte sie und steckte das Telefon in die Manteltasche. »Wir sehen uns dann im
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