Todsünde
es nicht die üblen Gerüche, die diese Autopsie schwer erträglich machten; es war das Alter des Opfers. Rizzoli stand neben Frost. Ihre Miene war entschlossen. In einen OP-Kittel gehüllt, der für ihre schmächtige Statur mehrere Nummern zu groß war, stand sie direkt vor dem Tisch, als wollte sie sagen: Ich bin bereit. Ich halte alles aus. Die gleiche Haltung, die Maura bei den Stationsärztinnen in der Chirurgie beobachtet hatte. Die Männer mochten sie Hexen oder Drachen nennen, doch sie wusste, dass es nur Frauen waren, die so hart um Anerkennung in diesem Männerberuf hatten kämpfen müssen, dass sie sich mit der Zeit das Machogehabe ihrer männlichen Kollegen angewöhnt hatten. Rizzoli hatte dieses Gehabe ebenfalls perfekt drauf, doch ihr Gesicht passte nicht ganz zu der furchtlosen Pose. Es war bleich und angespannt, und dunkle Ringe unter den Augen verrieten ihre Erschöpfung.
Yoshima hatte die Lampe auf das Bündel gerichtet und stand neben dem Instrumententablett bereit.
Die Decke war klatschnass, und eiskaltes Teichwasser tropfte herunter, als Maura sie vorsichtig wegzog, um die nächste Schicht Stoff freizulegen. Der winzige Fuß, den sie bereits am Fundort gesehen hatte, ragte aus dem nassen Stoffbündel hervor. Ein weißer, mit Sicherheitsnadeln geschlossener Kissenbezug hüllte den Körper des Kindes ein wie ein Leichentuch. Der Stoff war mit kleinen rosafarbenen Flecken gesprenkelt.
Maura nahm die Pinzette zur Hand, zupfte die rosa Teilchen ab und sammelte sie in einer Schale.
»Was ist das für ein Zeug?«, fragte Frost. »Sieht aus wie Konfetti«, meinte Rizzoli. Maura fuhr mit der Pinzette in eine tiefe Falte des nassen Stoffs und zog einen kleinen Zweig heraus. »Das ist kein Konfetti«, sagte sie. »Es sind getrocknete Blumen.«
Es wurde wieder ganz still im Saal, als ihnen allen die Bedeutung dieser Entdeckung klar wurde. Ein Symbol der Liebe, dachte Maura. Der Trauer. Sie erinnerte sich daran, wie gerührt sie vor Jahren gewesen war, als sie gehört hatte, dass die Neandertaler ihre Toten mit Blumen bestattet hatten. Es war ein Zeichen ihrer Trauer und damit ihrer Menschlichkeit. Sie hat um dieses Kind getrauert, dachte Maura. Hat es in weißes Leinen gewickelt, es mit getrockneten Blütenblättern bestreut und in eine Wolldecke gehüllt. Sie hat es nicht einfach beseitigt, sie hat es bestattet. Sich feierlich von ihm verabschiedet.
Sie betrachtete den winzigen Fuß, der aus dem Leichentuch ragte. Die Haut der Sohle war vom Liegen im Wasser verschrumpelt, doch es waren keine offensichtlichen Anzeichen von Verwesung zu erkennen, wie etwa schwärzlich verfärbte, hervortretende Venen. Im Teich hatten Temperaturen um den Gefrierpunkt geherrscht, und die Leiche hätte in diesem nahezu unveränderten Zustand Wochen überdauern können. Den Todeszeitpunkt zu bestimmen wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, dachte sie.
Sie legte die Pinzette weg und entfernte die vier Sicherheitsnadeln, mit denen der Kissenbezug unten geschlossen war. Sie klimperten leise, als Maura sie in die Metallschale warf. Dann fasste sie den Bezug am Saum und zog ihn behutsam zurück, um die Beine freizulegen. Die Knie waren angewinkelt, die Oberschenkel gespreizt wie bei einem kleinen Frosch.
Die Größe entsprach der eines Fötus nach der vollen Schwangerschaftsdauer.
Sie legte die Genitalien frei; dann kam ein angeschwollenes Stück Nabelschnur zum Vorschein, abgebunden mit einem roten Seidenband. Plötzlich musste sie an die Nonnen denken, die um den großen Tisch im Speisesaal gesessen und mit ihren knotigen
Händen getrocknete Blütenblätter in Säckchen gefüllt und diese mit Seidenbändern zugeknotet hatten. Ein Duftkissen-Baby, dachte sie. Mit Blumen bestreut und mit Seidenband verschnürt.
»Es ist ein Junge«, sagte Rizzoli mit erstickter Stimme.
Maura blickte auf und sah, dass Rizzoli noch blasser geworden war. Sie hatte sich an den Tisch gelehnt, als hätte sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
»Müssen Sie vielleicht mal raus?« Rizzoli schluckte. »Es ist bloß ...«
»Was?«
»Nichts. Mir fehlt nichts.«
»Das geht einem an die Nieren, ich weiß. Kinder sind immer besonders schwer zu ertragen. Wenn Sie sich hinsetzten möchten ...«
»Ich sag doch, mir fehlt nichts.«
Doch das Schlimmste stand ihnen noch bevor.
Maura zog den Kissenbezug vorsichtig über die Brust, wobei sie zuerst den einen und dann den anderen Arm behutsam streckte, damit er nicht an dem nassen Stoff
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