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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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eine Vermutung haben. Sie stehen hier vor mir – sehen Sie einen Mörder?«
    »Ich verlasse mich ausschließlich auf Beweise.«
    »Zahlen und Fakten. Das ist alles, woran Sie glauben.«
    »Ja.«
    »Und wenn ich Ihnen nun sage, dass ich jederzeit bereit bin, eine DNA-Probe abzuliefern? Dass ich Ihnen hier und jetzt eine Blutprobe geben will, falls Sie bereit sind, sie mir abzunehmen?«
    »Eine Blutprobe ist gar nicht erforderlich. Es genügt ein Abstrich von der Mundschleimhaut.«
    »Dann eben ein Abstrich. Ich möchte nur klarstellen, dass ich mich freiwillig dafür zur Verfügung stelle.«
    »Ich werde es Detective Rizzoli sagen. Sie wird Ihnen die Probe abnehmen.«
    »Werden Sie dann Ihre Meinung ändern? Was meine Schuld betrifft?«
    »Wie schon gesagt, ich werde es wissen, wenn ich die Resultate vor mir habe.« Sie öffnete die Tür und trat hinaus.
    Er folgte ihr in den Hof. Obwohl er keinen Mantel trug, schien die Kälte ihm nicht das Geringste auszumachen. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet.
    »Sie sagten, Sie seien katholisch erzogen worden«, sagte er.
    »Ich habe eine katholische Mädchenschule besucht. Holy Innocents in San Francisco.«
    »Und doch glauben Sie nur an Ihre Blutproben und Abstriche. An Ihre Wissenschaft.«
    »Worauf kann ich mich sonst verlassen?«
    »Auf Ihren Instinkt? Auf Ihre Menschenkenntnis?«
    »Ich soll Ihnen vertrauen, nur weil Sie Priester sind?«
    »Nur?« Er schüttelte den Kopf und lachte resigniert. Sein Atem war weiß in der eiskalten Luft. »Das beantwortet wohl meine Frage.«
    »Ich stelle keine Vermutungen an. Ich fälle keine vorschnellen Urteile über andere Menschen, weil man damit nur allzu oft unliebsame Überraschungen erlebt.«
    Sie hatten die Pforte erreicht. Er machte ihr das Tor auf, und sie trat hinaus. Dann fiel das Tor ins Schloss, und ein Gitter trennte plötzlich ihre Welt von der seinen.
    »Erinnern Sie sich noch an den Mann, der hier auf dem Gehsteig zusammengebrochen ist?«, fragte er. »Den Kameramann, den wir gemeinsam wiederbelebt haben?«
    »Ja.«
    »Er lebt. Ich habe ihn heute Morgen besucht. Er ist bei Bewusstein und kann wieder sprechen.«
    »Das freut mich zu hören.«
    »Sie haben nicht geglaubt, dass er durchkommen würde.«
    »Seine Chancen standen sehr schlecht.«
    »Sehen Sie? Manchmal sind Zahlen und Statistiken eben nicht die ganze Wahrheit.«
    Sie wandte sich zum Gehen.
    »Dr. Isles!«, rief er. »Sie sind doch mit der Kirche aufgewachsen. Ist von Ihrem Glauben wirklich nichts übrig geblieben?«
    Sie drehte sich zu ihm um. »Der Glaube kommt ohne Beweise aus«, sagte sie. »Aber ich nicht.«
    Autopsien an Kindern waren etwas, wovor es jedem Pathologen graute. Während Maura sich die Gummihandschuhe überstreifte und ihre Instrumente zurechtlegte, vermied sie es, das winzige Bündel auf dem Tisch anzusehen. So lange es ging, versuchte sie die traurige Realität dessen, was sie erwartete, zu ignorieren. Bis auf das Klappern der Instrumente war es still im Saal. Keinem der Anwesenden, die um den Tisch herumstanden, war nach Reden zumute, Maura hatte immer Wert darauf gelegt, dass an ihrem Arbeitsplatz ein respektvoller Ton eingehalten wurde. Als Medizinstudentin hatte sie Autopsien von Patienten beigewohnt, die sie selbst behandelt hatte. Für die Pathologen, die diese Sektionen durchgeführt hatten, waren die Leichen anonyme Fremde gewesen, doch sie hatte die Patienten gekannt, als sie noch gelebt hatten, und wenn sie vor ihr auf dem Tisch lagen, konnte sie sie nicht ansehen, ohne ihre Stimmen zu hören oder sich daran zu erinnern, wie ihre Augen ausgesehen hatte, als das Leben darin noch nicht erloschen war. Der Autopsiesaal war nicht der Ort für zotige Witze oder den Austausch der neuesten Bettgeschichten. So etwas ließ sie einfach nicht zu. Ein strenger Blick von ihr konnte auch den respektlosesten Polizisten zum Schweigen bringen. Sie wusste, dass es keine Gefühllosigkeit war, die sie dazu trieb; der Humor war einfach ihre Methode, mit den düsteren Seiten ihres Jobs fertig zu werden. Dennoch erwartete sie, dass sie damit aufhörten, wenn sie den Autopsiesaal betraten, wenn sie keine Rüge von ihr riskieren wollten.
    Aber wenn die Leiche eines Kindes auf dem Tisch lag, waren solche mahnenden Worte nie nötig.
    Sie betrachtete die beiden Detectives vom Morddezernat. Barry Frosts Gesicht zeigte wie üblich eine ungesunde Blässe, und er stand ein wenig abseits vom Tisch, wie um jederzeit fluchtbereit zu sein. Heute waren

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