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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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verstehen Sie? Wenn man eine heiße Spur verfolgt, dann fließt das Adrenalin in Strömen, und man sieht alles mit anderen Augen, empfindet alles anders. Und dann arbeitet man mit einem Menschen rund um die Uhr zusammen, kommt ihm so nahe, dass man ihn schon am Geruch erkennt. Man weiß, wie er seinen Kaffee trinkt und
    wie er seine Krawatte bindet. Und dann wird der Fall immer kniffliger, man teilt die Wut und den Ärger – und die Angst. Und irgendwann glaubt man dann, so etwas wie Liebe zu empfinden. Aber es ist nicht Liebe, wenn zwei Menschen unter solchem Druck und solcher Anspannung zusammenarbeiten, dass sie irgendwann den Kitzel der Jagd mit sexueller Lust verwechseln. Und das ist mit uns passiert, glaube ich. Wir sind uns in einem Wald voller Frauenleichen begegnet. Und nach einer Weile hat er dann sogar mich attraktiv gefunden.«
    »Und für Sie war er auch nicht mehr als das? Jemand, den Sie plötzlich attraktiv fanden?«
    »Scheiße, er sieht nun mal gut aus!«
    »Denn wenn Sie ihn wirklich nicht lieben – wenn er Ihnen gar gleichgültig ist –, dann sollte es Ihnen doch nicht so viel ausmachen, ihn wiederzusehen. Oder?«
    »Ich weiß nicht!«, entgegnete Rizzoli entnervt. »Ich weiß nicht, was ich für ihn empfinde!«
    »Hängt es davon ab, ob er Sie liebt?«
    »Ich werde ihn bestimmt nicht fragen.«
    »Das wäre eine Möglichkeit, eine offene Antwort zu bekommen.«
    »Wie heißt es doch so schön? Wenn du die Antwort nicht hören willst, dann solltest du auch nicht fragen. «
    »Man kann nie wissen. Vielleicht bekommen Sie eine Antwort, mit der Sie nicht gerechnet haben.«
    Im Polizeipräsidium holten sie sich noch rasch einen Kaffee aus der Kantine und nahmen ihre Becher mit nach oben ins Besprechungszimmer. Während sie auf Crowe und Dean warteten, beobachtete Maura Rizzoli, wie sie in ihren Papieren wühlte und Aktenordner durchblätterte, als ob sie ein Geheimnis enthielten, das sie um jeden Preis aufdecken wollte. Um Viertel nach zwei hörten sie endlich das leise Ping des Aufzugs und kurz darauf Crowes Lachen auf dem Flur. Rizzolis Schultern strafften sich. Die Männerstimmen kamen immer näher, und sie hielt den Blick starr auf ihre Papiere gerichtet. Und als Dean dann in der Tür erschien, blickte sie nicht sofort auf, als ob sie demonstrieren wollte, dass er keine Macht über sie besaß.
    Maura hatte Special Agent Gabriel Dean Ende August kennen gelernt, als er zu dem Team der Mordkommission gestoßen war, das an der Aufklärung einer Reihe von Morden an wohlhabenden Paaren in der Bostoner Region gearbeitet hatte. Dean, ein stattlicher Mann von ruhigem, besonnenem Wesen und scharfem Verstand, hatte sehr bald eine Führungsrolle in dem Team übernommen, womit sein Konflikt mit Rizzoli, die offiziell mit der Leitung der Ermittlungen betraut war, von Anfang an vorprogrammiert war. Maura hatte als Erste registriert, wie sich dieser Konflikt in gegenseitiges Interesse verwandelt hatte. Sie hatte das erste Aufflackern der Affäre beobachtet, hatte die Blicke gesehen, die die beiden sich über die Leichen der Opfer hinweg zugeworfen hatten. Sie hatte bemerkt, wie Rizzoli errötet war, hatte ihre Unsicherheit gespürt. Die erste Phase der Verliebtheit ist oft von Verwirrung und Ungewissheit gekennzeichnet.
    Wie auch die letzte Phase einer Beziehung.
    Dean trat ein und richtete den Blick sofort auf Rizzoli. Er trug Anzug und Krawatte, und seine gepflegte Erscheinung stand in deutlichem Kontrast zu der Rizzolis mit ihrer zerknitterten Bluse und ihrem widerspenstigen Haarschopf. Als sie schließlich zu ihm aufblickte, war ihre Miene beinahe trotzig. Bitte sehr, hier bin ich, schien sie zu sagen. Was du daraus machst, ist deine Sache.
    Crowe steuerte gleich das Kopfende des Tisches an.
    »Okay, alles vollzählig versammelt. Dann können wir ja zur Bescherung schreiten.« Er sah Rizzoli an.
    »Hören wir uns zuerst an, was das FBI zu sagen hat«, entgegnete sie.
    Dean öffnete die Aktentasche, die er mitgebracht hatte, nahm einen Ordner heraus und schob ihn Rizzoli über den Tisch zu.
    »Dieses Foto wurde vor zehn Tagen in Providence, Rhode Island, gemacht«, erklärte er.
    Rizzoli schlug den Ordner auf. Maura saß neben ihr und konnte das Foto deutlich sehen. Es zeigte die Leiche eines Mannes, der in Embryonalhaltung im Kofferraum eines Autos lag. Die beigefarbene Verkleidung war mit Blut bespritzt. Das Gesicht des Opfers wirkte erstaunlich unversehrt. Die Augen waren geöffnet; die unten liegenden

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