Todtsteltzers Ehre
letzte Last auf den brusthohen Stapel, drehte sich um und verzog das Gesicht.
»Jesus, hier stinkt es aber, Oberst! Hätte man uns nicht wenigstens eine Hütte mit Fenstern zuteilen können?«
»Verspritze ein bißchen Desinfektionsmittel«, sagte Hand,
ohne von seinem Klemmbrett aufzublicken. »Und falls du irgendwas siehst, was klein ist und sich schlängelt, dann haue
mit etwas darauf, was schwer ist.«
»Geht nich’«, wandte Otto ein. »Sankt Bea hat alle Desinfektionsmittel für die Krankenstation beschlagnahmt. Sie hat als
Reserve sogar allen Schnaps im Lager eingesammelt. Nächstes
Mal, Oberst, sollten wir uns nicht vom Kampf abhalten lassen.
Ich würde mich lieber mit dem Buckel voraus einer ganzen
Armee von Hadenmännern entgegenstellen, als diese Scheiße
noch mal durchzumachen. Das ist zu sehr, als würde man für
seinen Lebensunterhalt arbeiten.« Der Zwerg sah sich um und
schwieg längere Zeit. »Wir haben da draußen eine Menge gute
Leute verloren, Oberst. Fünfzehn, vielleicht zwanzig Prozent.
Und bis morgen werden noch viel mehr tot sein.«
»Die Hadenmänner haben verflucht viel mehr verloren.«
»Jap, aber sehen wir der Sache ins Auge – das war nur ein
einleitendes Scharmützel. Ein Voraustrupp, um die Verteidigung auf die Probe zu stellen. Jedenfalls hätte ich es so gemacht. Die eigentliche Armee lauert immer noch irgendwo da
draußen im Dschungel und verdaut die Lektionen, die sie erhalten hat. Und sie könnte uns jederzeit angreifen.«
»Weißt du, Otto, es ist dein heiteres Naturell, das mich auf
den Beinen hält. Hast du nicht zu arbeiten?«
»Nee. Keine Leichenteile mehr. Für die letzte Fuhre mußte
ich Schaufel und Eimer benutzen. Dabei ist mir unerfindlich,
wie Ihr Ohren und Zähne und blutige Klumpen zusammensetzen wollt. Weiß gar nicht, was wir mit den Teilen anfangen
sollen, die niemand beansprucht. Außer vielleicht Suppe daraus
machen.«
Der Oberst blickte vom Klemmbrett auf. »Deine Familie, das
waren ja auch Kannibalen, nicht wahr?«
»Nur an religiösen Feiertagen. Und nur, wenn wir jemanden
wirklich nicht leiden konnten.«
»Fertig«, sagte Tobias Mond von der Tür her. »Keine weiteren Leichen mehr, auch wenn viele Leute schwer verletzt sind.
Ich denke, Ihr beide solltet Euch jetzt ausruhen. Ich kann die
Arbeit fortsetzen. Ich bin überhaupt nicht müde.«
»Dann seid Ihr damit der einzige in der Mission«, sagte der
Oberst. Er sah das Klemmbrett an und ließ es dann zu Boden
fallen. »Machen wir eine Pause, Otto. Ich denke, wir haben sie
uns verdient.«
Die beiden setzten sich auf den Boden, so weit entfernt wie
nur möglich von den Leichen und dem Geruch, und lehnten
sich müde an die Wand. Otto brachte von irgendwoher unter
seinen Kleidern einen ramponierten metallgrauen Flachmann
zum Vorschein, blinzelte dem Oberst zu, und beide nahmen je
einen tiefen Schluck daraus. Mond stand unsicher unter der
Tür. Hand winkte ihn herüber.
»Leistet uns Gesellschaft, Sir Mond. Auch Ihr habt Euch eine
Pause verdient, selbst wenn Ihr sie nicht braucht. Setzt Euch
doch. Hättet Ihr Geschmack an etwas wirklich Üblem?«
»Danke«, sagte Mond. Alkohol bewirkte bei ihm nichts, aber
er nahm die angebotene Flasche trotzdem an. Er wußte, daß das
zu geselligem Umgang gehörte. Er setzte sich neben den
Oberst, nahm einen bescheidenen Schluck und gab die Flasche
zurück. »Es hat ein … ungewöhnliches Aroma.«
Otto lachte. »Das Aroma ist nicht der Grund, warum man es
trinkt, mein Freund. Du warst draußen auf dem Torplatz. Wie
lauten die neuesten Nachrichten?«
Mond zögerte und leitete die Informationen durch einen Filter, der heraussuchte, was die meisten Leute interessant fanden.
»Die Löcher in der Palisade sind gestopft. Die wenigen Brände
haben bemerkenswert wenig Schaden angerichtet.«
»Die Leute, Mond«, sagte Hand geduldig. »Was ist mit Euren Freunden, den lebenden Legenden?«
»Der Todtsteltzer wurde schwer verwundet, hat sich aber
wieder erholt. Hazel D’Ark und Mitternachtsblau helfen Mutter
Beatrice in der Krankenstation. Bonnie Chaos hat umfangreiche Schäden erlitten, heilt aber mit erhöhtem Tempo und erwartet, in einer oder zwei Stunden wieder voll funktionsfähig
zu sein. Die von uns, die das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten haben, sind nur schwer umzubringen.«
»Ja«, sagte der Oberst. »Das ist uns aufgefallen. Ihr seid
wahrscheinlich sogar immun gegen das, was wir uns eingefangen haben.« Hand musterte Mond
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