Todtsteltzers Ehre
Verlangen nach blutiger Vergeltung, die beides zum Schweigen brachte.
Endlich erreichte er die einzelne Stahltür, die zu seiner früheren Sicherheitszentrale führte. Er zügelte seine Wut und sein
Verlangen und überwand sich dazu, die Tür sorgfältig zu untersuchen. Sie bestand aus etliche Zentimeter dickem, massivem
Stahl ohne erkennbaren Schloßmechanismus. Zweifellos waren
ein Dutzend Fallen daran montiert, von getarnten Disruptoren
bis zu scharfen Sprengsätzen. Owen scherte sich nicht darum.
Er konzentrierte sich, tastete über den bewußten Verstand
hinaus nach innen ins Stammhirn, das Unterbewußtsein, und
dort erwachte etwas und spannte sich zum Sprung, platzte dann
ohne Hemmung heraus. Der Gedankenimpuls riß die Stahltür
so heftig aus dem stählernen Rahmen, daß sie in den dahinterliegenden Raum flog. Die versteckten Disruptoren und Sprengsätze wollten sich scharfmachen, aber Owen schaltete sie mit
einem einzigen Gedanken ab. Seine Kraft war jetzt voll erwacht und brannte hell in ihm. Er betrat den Raum durch den
leeren Türrahmen, nur um vom Laut leisen, ironischen Beifalls
gestoppt zu werden. Auf der Seite gegenüber, fast im Schatten
verborgen, saß Valentin Wolf lässig auf einem Drehstuhl und
klatschte in die langen weißen Hände. Er war ganz in Schwarz
gekleidet, und das leichenfahle Gesicht schien ohne Stütze in
der Düsternis zu schweben.
»Wunderbarer Auftritt, Owen! Ihr habt wirklich einen Sinn
fürs Dramatische entwickelt. Was für eine Steigerung! Ihr wart
immer so anständig und spießig, ehe man Euch zum Gesetzlosen erklärte. Wirklich, es hat Euch zu dem gemacht, was Ihr
heute seid.«
Owen trat ein paar Schritte vor und sah sich dabei vorsichtig
um. Eine Menge Lektronen und Monitore und Terminals, aber
kein Bedienungspersonal und keine Wachen. Nur Valentin,
scheinbar ungerührt. Nichts und niemand, das oder der noch
zwischen dem Todtsteltzer und seiner Rache gestanden hätte.
»Steht auf, Wolf«, sagte er leise, die Stimme so kalt und sicher
wie der Tod. »Es ist vorbei. Hier endet es.«
»Oh, seid doch nicht so vorhersagbar, Owen«, versetzte der
Wolf, verschränkte gelassen die Arme und lehnte sich zurück.
»Müssen wir wirklich das tun, was alle von uns erwarten? Die
traditionellen Rollen des gutherzigen Helden und des niederträchtigen Schurken zu Ende spielen? Wir haben ein größeres
Potential. Wir haben so viel gemeinsam, Ihr und ich. Wir sollten fast Brüder im Geiste sein.«
»Ich bin Euch in keiner Weise ähnlich, Wolf«, erwiderte
Owen rundweg.
»Wirklich nicht? Was habe ich denn anderes getan als Ihr in
Eurer Zeit als Rebell? Ich zweifle nicht daran, daß Ihr viel
mehr Menschen umgebracht habt als ich, ungeachtet all meiner
Bemühungen.«
»Ihr seid verantwortlich für den Tod dieses Planeten. Für die
Auslöschung seiner Bevölkerung.«
»Nun, andere haben mir geholfen, aber wie viele sind auf
Euer Betreiben auf Nebelwelt und Golgatha ums Leben gekommen? Wie viele gute Soldaten, die nur Befehlen folgten
und ihre Pflicht taten? Die nichts von Politik verstanden und
nur dem Gesetz Geltung verschafften? Uns beiden kleben Blut
und Tod und Grauen an den Händen. Aber macht Euch keine
Sorgen deswegen. Wir stehen über solchen Dingen. Wir sind
inzwischen mehr als nur Menschen, und menschliche Grenzen
gelten für uns nicht mehr.«
»Es geht nicht darum, was wir getan haben«, entgegnete
Owen, »sondern darum, warum wir es getan haben. Ich habe
getötet, wenn es nötig wurde, habe darum gekämpft, das Morden zu stoppen. Ihr habt es zum Vergnügen getan.«
»Möchtet Ihr damit sagen, daß Ihr es nicht genießen würdet,
mich zu töten?«
»Nein, das möchte ich überhaupt nicht sagen.«
»Seht Ihr? Gewöhnliche Einschränkungen existieren für uns
nicht. Wir können wunderbare, schreckliche Dinge tun, begrenzt nur durch unsere Vorstellungskraft und die Beengtheit
unserer Vision. Wir werden diese Dinge tun; wir müssen sie
tun, weil wir dazu fähig sind. Bleibt nicht in der Vergangenheit
stecken, Owen. In dem Mann, der Ihr einmal wart, bevor man
Euch den erweckenden Schlag versetzte. Ihr seid nach wie vor
um kleinliche Vorstellungen besorgt, um Pflicht und Ehre und
Gesetz. Das Gesetz ist für die kleinen Leute da; die Ehre für
Menschen, die sich fürchten, mehr zu sein, als sie sind; und
unsere einzige Pflicht gilt inzwischen uns selbst: Die Möglichkeiten zu erforschen, die uns offenstehen, alles zu werden, was
wir sein können. Alles, was
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