Todtstelzers Krieg
fragte
Finlay. »Ich dachte, sie hassen die Menschen?«
»Tun sie auch«, antwortete der Seebock. »Sie hassen Euch,
weil sie so sein wollen wie Ihr und es nicht können. Sie sind
nicht wirklich lebendig, und das wissen sie. Trotz all ihrer neugewonnenen Intelligenz und Kraft bleiben sie Automaten, genau wie der Bär und ich. Wir können kein neues Leben … zeugen, wie Ihr Menschen das tut. Wenn wir eines Tages abgenutzt sind und auseinanderfallen, dann wird es niemanden geben, der uns ersetzt. Und wir werden eines Tages auseinanderfallen, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Wir besitzen
keine Unsterblichkeit durch unsere Kinder. Wir gehen in die
Dunkelheit zurück, aus der wir gekommen sind, und dann sind
wir vergessen . Dieses Wissen treibt eine ganze Menge von
Spielsachen in den Wahnsinn.«
»Wir dürfen die Teile jedenfalls nicht einfach so hier herumliegen lassen«, sagte Reineke Bär und wich den Blicken der
Menschen aus, »Wenn man ihnen die Zeit läßt, setzen sie sich
wieder zusammen. Sie nähen sich neue Körper. Das ist schon
früher geschehen. Solange ihre Zentralmatrizen intakt sind,
sterben sie einfach nicht.«
»Dann laßt uns die Matrizen zerstören«, schlug Tobias vor.
»Viel Spaß beim Suchen«, erwiderte der Seebock. »Die Matrizen sind vielleicht einen Tausendstel Millimeter groß und
können überall im Körper sein.«
»Und was sollen wir tun?« erkundigte sich Finlay.
»Wir müssen sie verbrennen«, antwortete Reineke Bärtraurig. »Wir sammeln die Überreste ein, setzen ein Feuer in Gang
und verbrennen alles.«
Einige Zeit später kletterten die erschöpften Menschen und
die beiden Spielzeuge in die Waggons zurück. Neben dem
Schienenstrang brannte ein wütendes Feuer, und stinkender
schwarzer Rauch stieg in den Himmel hinauf. Julian saß neben
Evangeline. Er hatte den Kopf an ihre Schulter gelehnt und
döste halb. Edwin machte einen Satz, und die Waggons setzten
sich in Bewegung. Der Zug zuckelte über die reparierten
Schienen voran, und Edwin tutete ein trauriges Lied. Die Menschen saßen schweigsam beieinander und behielten ihre Gedanken für sich.
Tobias und Flynn filmten das Begräbnisfeuer, bis es außer
Sichtweite war. Reineke Bär und der Seebock saßen nebeneinander und hielten sich gegenseitig die Pfoten. Der Tod ihrer
Spielzeugkameraden hatte sie traurig gemacht.
Ein paar Stunden später ächzte der Zug einen Hang hinauf. Die
grinsende Sonne neigte sich dem Horizont entgegen. Als sie
den Kamm erreicht hatten, kam endlich Spielzeugstadt in Sicht.
Sie erstreckte sich zu beiden Seiten eines tiefen Tales, und es
gab Häuser und Läden und alles, was eine richtige Stadt so
haben mußte – nur in einer viel kleineren, kondensierten Form,
und alles in hellen, fast betäubenden Grundfarben . Die Gebäude sahen aus wie Entwürfe von Läden und Häusern, vereinfacht und übertrieben zugleich. Zwar besaßen sie ausreichend
viele Details, um ihren Sinn erkennen zu lassen , doch ansonsten zeichneten sie sich durch eine fast surreale Einheitlichkeit
aus: Eine Stadt, wie aus einem Kindertraum.
»Willkommen in Spielzeugstadt«, sagte Reineke Bär. »Das
Zuhause aller Spielsachen und Menschen. Die Hauptstadt von
Sommerland, wo all Eure Träume in Erfüllung gehen.«
»Einschließlich der schlechten«, ergänzte der Seebock. »Hin
und wieder sogar ganz besonders der schlechten. Bleibt bitte
alle sitzen, bis wir anhalten. Rings um die Stadt gibt es Minenfelder.«
Die Menschen tauschten verwunderte Blicke aus; doch sie
schwiegen. Die Spielzeugstadt wurde langsam größer, je näher
Edwin heranfuhr; aber das Gefühl von Fremdartigkeit wollte
nicht weichen . Es war, als würden die Rebellen die Illustration
eines alten Kinderbuchs betreten.
Der Stadtrand war mit Stacheldraht gesichert, der dumpf im
Licht der untergehenden Sonne glitzerte. Zerbrochene Puppen
und zerrissene Teddybären hingen leblos auf den Drahtverhauen, und ihre Innereien flatterten im Wind wie flauschige Fetzen. Der Bär mußte sich abwenden. Er konnte den Anblick
nicht ertragen. Am Ende hielt er sich sogar die Knopfaugen zu.
Der Seebock betrachtete die Szene mit kaltem, abgestumpftem
Blick.
»Die bösen Spielsachen greifen in letzter Zeit immer häufiger
an«, erklärte er beiläufig. »Manchmal bleibt uns nicht einmal
genug Zeit, unsere eigenen Toten zu bergen. Der Feind nimmt
die seinen immer mit. Ersatzteile sind knapp. Waffen gibt es
auf beiden Seiten reichlich;
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