Todtstelzers Krieg
verrottenden Stimmbänder einer seit Monaten toten Leiche.
Sie brach in seine Gedanken ein und rollte sich darin zusammen wie eine Giftschlange, die sich zischend auf den Angriff
vorbereitet. Es war eine erbarmungslose, brutale Invasion von
Tobias’ Bewußtsein, und ihm wurde übel. Legions Gegenwart
in seinem Kopf erzeugte ein Gefühl, als wäre er unrein. Verzweifelt kämpfte er um seine Selbstbeherrschung. Die Stimme
fuhr fort:
Ich bin alles, was ich früher war, und mehr. Ich bin viel größer als die Summe meiner Teile. Kein Esper kann mir widerstehen. Ihr Schirm wird fallen, und ich werde ihre Gedanken
fressen. Ich werde sie in mir aufnehmen, und die Nebelwelt
wird in ihrem Blut und Leid ertrinken.
Legion sprach mit vielen Stimmen gleichzeitig. Es war ein
entsetzlicher Chorus aufeinanderprallender Akzente, laut und
leise, rauh und schrill, alles zugleich, eine unnatürliche Mischung, die schrecklich unmenschlich klang. Und im Hintergrund, wie das entfernte Rauschen eines Meeres, hallten die
Schreie Tausender verdammter Seelen, die in der Hölle lebten.
»Wer … wer genau spricht da eigentlich zu mir?« erkundigte
sich Tobias und klammerte sich an seine professionelle Distanz. »Die Hirne der Esper, die Würmer, das kollektive Bewußtsein? Was?«
Doch Legion gab keine Antwort, und plötzlich war das Ding
aus Tobias’ Verstand verschwunden. Er verspürte eine überwältigende Erleichterung. Tobias stolperte rückwärts. Er wollte
Abstand zwischen sich und dieses schreckliche Ding im Tank
bringen. Flynn war augenblicklich bei ihm und packte ihn stützend am Arm. Und schließlich war es zu Tobias’ Überraschung
Ffolkes, der die Antworten auf seine Fragen lieferte. Der Sicherheitsoffizier sprach mit erschütterte, leiser Stimme.
»Wir wissen nicht, wer zu uns spricht. Wir glauben, daß Legion selbst nicht genau weiß, was es ist. Nur eines können wir
mit Sicherheit sagen: Legion ist bewußt und wach, und es wird
immer stärker. Es kann mit Leichtigkeit jeden psionischen
Schirm zerstören, den die Nebelweltler gegen uns zu errichten
imstande sind. Und ohne Schirm sind sie uns hilflos ausgeliefert.«
»Und wie stark wird es noch?« fragte Tobias. Seine Stimme
klang wieder ein wenig fester, nachdem Legion sich aus seinem Kopf zurückgezogen hatte.
»Das wissen wir nicht«, antwortete Bartek. »Aber macht
Euch deswegen keine Gedanken. Rein physisch betrachtet ist
Legion vollkommen hilflos. Es könnte nicht eine Sekunde außerhalb seines Tanks überleben. Ohne unsere technische Unterstützung und die chemische Nährlösung, in der es schwimmt,
könnte es nicht existieren. Es ist von uns abhängig, und das
weiß es.«
»Aber Ihr wißt immer noch nicht, was es ist!« sagte Flynn
leise. »Und Ihr wißt auch nicht, wozu es imstande sein wird.«
»Ich sage Euch, was Legion ist« entgegnete Bartek und lächelte zum ersten Mal. »Legion ist eine Waffe. Legion ist eine
Waffe, mit deren Hilfe ich die Nebelwelt ein für allemal vernichten werde.«
Einige Zeit später, Leutnant Ffolkes hatte Tobias und Flynn
sicher zu ihrem Quartier zurückeskortiert, eilte er in einen anderen Bereich des Schiffs und klopfte verstohlen an eine Tür.
Er benutzte das geheime Zeichen, das man ihm gegeben hatte.
Die Tür öffnete sich fast im gleichen Augenblick, und er
schlüpfte hinein. Er schwitzte, und seine Hände zitterten. Spezielle Lektronenschaltungen sollten seine Anwesenheit vor den
Überwachungssystemen des Schiffs verbergen; doch er wußte
nicht, ob sie wie beabsichtigt funktionierten oder nicht. Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, beruhigte er
sich ein wenig. Er ruckte dem einzigen Bewohner des Raums
zu, und Investigator Razor erwiderte seinen Gruß.
Razor war ein großer, schwerer Mann mit beeindruckenden
Muskeln und einem ruhigen, nachdenklichen Gesicht. Seine
Hautfarbe war dunkel, das kurzgeschnittene Haar weiß, und die
eng beieinander stehenden Augen von einem überraschenden
Grün. Der Investigator wirkte ruhig und gelassen; doch Ffolkes
ließ sich dadurch nicht täuschen. Er wußte, daß Razor nicht
freiwillig hier war. Der Investigator hatte ein ruhiges, zufriedenes Leben als Sicherheitschef des Chojiro-Clans geführt, bis
die Imperatorin beschlossen hatte, Investigatoren nicht mehr zu
gestatten, für die Familienclans zu arbeiten, egal ob im Ruhestand oder nicht. Statt dessen hatte sie sämtliche noch lebenden
Investigatoren, gleichgültig, welchen Status sie
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