Todtstelzers Schicksal
Ausgewählte
Erinnerungen an Hass und Verrat, um während der langen
Wartezeit die Motivation zu erhalten, bis sein Vater wieder
auftauchte. Wer außer einem verzweifelten und halbverrückten
Mann schlief jahrhundertelang, um in einer fremden neuen
Welt zu erwachen, in der jeder, den er kannte, längst zu Staub
geworden war? Wer, der nicht von Hass und Rachsucht bewegt
wurde?
Dram war seines Vaters Sohn.
Eine Reihe von Briefen lagen dort, teils an Dram gerichtet,
teils von ihm verfasst, auf Papier geschrieben, weil das immer
noch der beste Weg war, um ein Geheimnis zu wahren – eine
einzelne Kopie, auf die niemand Zugriff hatte außer einem
selbst. Die Bögen waren vom vielen Lesen zerknittert. Und da
war ein Holo, zu dem Ohnesorgs Augen immer wieder zurückkehrten – eine schlichte Szene mit Giles Todtsteltzer, offensichtlich zwischen Familienmitgliedern. Die Frau an seiner
Seite war vermutlich seine Gemahlin: eine große, schlanke
Blondine in fließenden weißen Gewändern. Ihr Lächeln wirkte
gezwungen, und sie blickte in die Kamera, als wollte sie um
Hilfe oder Rettung flehen. Neben ihr stand der Mann, der sie
später töten sollte: ihr Sohn Dram. Er sah ein wenig jünger aus,
als Ohnesorg ihn in Erinnerung hatte, aber ebenso ernsthaft,
selbst damals schon. Die Leute hätten wissen müssen, dass mit
ihm etwas nicht stimmte. Man erkannte es an den Augen und
an dem Lächeln, das keines war. Aber die Person, die wirklich
Ohnesorgs Aufmerksamkeit fand und seinen Blick immer wieder auf sich zog, war das letzte Familienmitglied. Ein winziges
Baby, das auf einem Hocker vor den anderen lag und in einen
sehr vertrauten Umhang gewickelt war. Ohnesorg hatte dieses
Baby schon einmal gesehen, in genau diesem Umhang mit dem
Familienwappen der Todtsteltzers. Auf der Wolflingswelt , exakt im Zentrum des Labyrinths des Wahnsinns.
Damals hatte Giles gesagt, das Baby wäre sein Klon, von ihm
selbst erzeugt, begabt mit furchtbaren Kräften. Ein Baby, das
tausend Sonnen innerhalb eines Augenblicks auslöschte, Milliarden Menschen ermordete und die Dunkelwüste hervorbrachte. Ein Baby, das angeblich getötet worden war, als Kapitän
Schwejksam das Labyrinth des Wahnsinns zerstörte, aber Ohnesorg war sich nicht sicher, ob er das je geglaubt hatte.
Er überflog weitere Briefe und setzte sich langsam ein Bild
von der Wahrheit zusammen. Der Wahrheit, die Giles seinen
Gefährten vorenthalten, hinter einem Vorhang aus Lügen und
Halbwahrheiten versteckt hatte. Das Baby war kein Klon. Es
war Giles Todtsteltzers unehelicher Sohn. Er hatte eine Affäre
gehabt mit der Frau des damaligen Imperators, der Imperatorin
Hermione. Und jemand war nicht ganz so vorsichtig gewesen,
wie er hätte sein können, denn Hermione wurde schwanger.
Imperator Ulric II. ging einfach davon aus, dass das Kind von
ihm war, aber kurz nach der Geburt kam die Wahrheit ans
Licht. Giles nahm das Kind an sich und flüchtete mit ihm, um
es vor Ulrics Zorn zu schützen. Ein legendärer Konflikt zwischen den beiden größten Männern ihrer Zeit hatte nie stattgefunden. Nur der Zorn eines zum Hahnrei gemachten Ehemanns
tobte sich aus.
Ohnesorg und die anderen hätten wissen müssen, dass Giles
log. Das Baby konnte gar kein Klon sein. Die Wissenschaft des
Klonens hatte sich erst Jahrhunderte nach Giles’ Zeit entwikkelt. Die Kräfte des Babys hatten sie jedoch dermaßen beeindruckt, dass sie einfach ans Klonen glaubten, es für einen weiteren Teil verlorener Tech des alten Imperiums hielten. Warum
hatte Giles gelogen? Um seinen Ruf oder den des unehelichen
Kindes zu wahren? Sicher war, dass die Wahrheit über die
Herkunft des Kindes Dram in hellen Zorn versetzt hatte. Seine
Briefe waren vor Wut über dieses Thema kaum noch verständlich abgefasst. Er rechnete uneingeschränkt damit, dass er
übergangen, enterbt, vergessen würde, zugunsten dieses Kindes, das ein Todtsteltzer von einer Imperatorin bekommen hatte. Dram glaubte nicht, dass das Kind ungewollt gewesen war.
Er betrachtete es als Teil einer Intrige, um die Familie Todtsteltzer auf den Thron zu bringen.
Und vielleicht hatte er damit Recht gehabt. Jedenfalls hatte
Giles erwiesen, dass er zu dergleichen fähig war.
Aber falls das Baby kein experimenteller Klon war, wie Giles
behauptet hatte, woher stammten dann seine Kräfte? Was hatte
ein wenige Wochen altes Baby in die zerstörerischste Kraft
verwandelt, die das Imperium je erlebt hatte? Ohnesorg ging
die restlichen
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