Todtstelzers Schicksal
Außensensoren um, damit Ihr alle seht, was auch wir sehen!«
Das verzweifelte Gesicht des Kapitäns wich dem ersten Anblick, den die Menschheit von den Neugeschaffenen hatte. Deren Schiffe wirkten riesig und schrecklich neben den winzigen
Flecken, die für die patrouillierenden imperialen Schiffe standen. Die Fahrzeuge der Neugeschaffenen ergaben keinen Sinn,
und es tat weh, sie zu betrachten, als würden sie in mehr als
drei Dimensionen zugleich existieren. Sie waren größer als
Berge, und ihre Zahl schien unermesslich, als sie dort unerbittlich aus der Dunkelwüste hervorströmten, den Abgrund durchquerten und in den Raum der Menschen vorstießen. Die Handvoll imperialer Schiffe feuerten aus allen Rohren auf sie, ohne
eine Wirkung zu erzielen. Die Neugeschaffenen ignorierten sie
einfach, wie einmarschierende Riesen es mit Ameisen unter
ihren Füßen tun mochten.
Ohnesorg spürte plötzlich knisternde und prasselnde Energien neben sich und vernahm den starken Geruch ionisierter Luft.
Eine leise Stimme sagte: »Sie sind es. Sie sind zurück.« Ohnesorg drehte sich um und erblickte den Halben Mann, der mit
seinem einen Auge entsetzt auf die Schiffe starrte, die der Monitor zeigte. Die Fremdwesen, die ihn entführt und gefoltert
und schließlich seinen halben Körper zurückgeschickt hatten,
für immer an ein lebendiges Energiekonstrukt gebunden, das
die andere Körperhälfte ersetzte; die Fremdwesen, deren Ankunft das Imperium seit Jahrhunderten fürchtete; die Fremdwesen, die die Menschen so behandeln würden, wie die Menschen
seit jeher Fremdwesen behandelten. Der größte Albtraum der
Menschheit kam schließlich doch aus der endlosen Nacht hervor, um alle zu vernichten.
Ein Laut drang aus dem Monitor, obwohl niemand etwas hätte hören dürfen. Er ähnelte einem niemals endenden Schrei,
einem endlosen Heulen der Agonie und der Freude und des
Grauens, mit einer Lautstärke, die eine menschliche Kehle
nicht hätte erzeugen können unaufhörlich, über jedes Maß
menschlicher Lungen hinaus. Es war ein abscheulicher und
entsetzlicher, abgehackter, scharfer Laut, beinahe zu schlimm,
um ihn zu ertragen. Die Leute im Parlament hielten sich die
Ohren zu und konnten ihn doch nicht aussperren. Die wenigen
anwesenden Esper weinten blutige Tränen. Diana Vertue entblößte die Zähne zu einem Knurren, das von Johana Wahn zu
stammen schien. Jakob Ohnesorg hielt sich den Kopf, da ein
heftiger Schmerz in seinen Schläfen pochte, als versuchte sein
Gehirn, sich einen Weg aus dem Schädel zu bahnen. Ruby Reise kniff die Augen zu und dehnte die Lippen zu einem Schrei
des Hasses oder Schmerzes oder der Angst, den niemand hören
konnte. Das Geräusch aus dem Bildschirm wurde lauter, unerträglich laut, die destillierte Essenz des Grauens.
Auf dem Monitor explodierte eines der imperialen Schiffe
nach dem anderen. Das Bild wechselte zurück auf die Brücke
der Schreckensstern und zu Kapitän Xhang. Blut lief ihm übers
Gesicht; er hatte sich selbst die Augen ausgerissen. Hinter ihm
brachten sich die wahnsinnig gewordenen Besatzungsmitglieder gegenseitig um. Xhang wollte etwas sagen, konnte sich
aber durch das endlose, zum Wahnsinn treibende Geheul nicht
verständlich machen. Und dann fiel der Bildschirm plötzlich
aus, und das schreckliche Geräusch brach ab. Die Menschen im
gedrängt vollen Plenarsaal nahmen vorsichtig die Hände von
den Ohren. Viele atmeten schwer, rangen förmlich nach Luft,
als hätten sie gegen einen körperlichen Gegner gekämpft. Einige waren ohnmächtig geworden. Einige Esper waren tot. Die
Lektronenstimme sagte: Die Sendung vom Abgrund wurde beendet. Mit keinem der Schiffe kann mehr Verbindung aufgenommen werden. Erwarte weitere Instruktionen.
»Sie sind zurück«, stellte der Halbe Mann fest. »Die Neugeschaffenen sind schließlich aus der Dunkelheit hervorgekommen, um uns alle zu vernichten.«
Im Parlament war es still. Niemand wusste, was er sagen
sollte. Die fremdartigen Entführer des Halben Mannes waren
seit Jahrhunderten die Albtraum-Butzemänner der Menschheit,
an die man zwar nicht ganz glaubte, die aber als eine schreckliche Warnung von einer Generation an die nächste übermittelt
wurden. Und jetzt waren sie schließlich da. Als hätten die
Monster, die unter dem Bett eines Kindes lauerten, nur darauf
gewartet, dass das Kind endlich erwachsen wurde, um an seine
Tür zu hämmern. Sogar Jakob Ohnesorg und Ruby Reise waren still, ihr Mut und ihr
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