Töchter auf Zeit
entsprechend.Dinge wie Tims Matchboxautos, Stofftiere, Malen und Basteln. Sie hatten viel Spaß miteinander. Was mich am meisten faszinierte, war unsere symbiotische Gemeinschaft. Wir gaben einander so viel. Ich entwickelte eine enge Beziehung zu Sam, Sam wiederum fand eine tolle Spielkameradin in Maura und Maura sonnte sich in unser beider Aufmerksamkeit und Zuneigung, die sie mehr als alles andere brauchte, um den Tod ihrer Mutter zu verkraften.
Sobald die Mädels miteinander spielten, setzte ich mich an meinen Computer und las meine E-Mails. Amy DePalma schrieb mir täglich. Bei ihrer ältesten Schwester war der Brustkrebs wieder ausgebrochen. Es stand nicht gut um sie. Doch wie von Amy nicht anders zu erwarten war, hatte sie ihren Frieden damit gemacht. In dieser Hinsicht war sie Claire sehr ähnlich, doch ich konnte das nicht nachvollziehen. Claire war der prinzipientreueste Mensch gewesen, den ich kannte, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Claire hätte sich zweifelsohne mit jeder Politesse angelegt, die ihr zu Unrecht einen Strafzettel ausgestellt hätte, obwohl ihr die zehn Dollar wirklich egal waren. Aber es ging ihr ums Prinzip. Amy war da nicht anders. Auf dem Flughafen in China hatte sie sich mit einem chinesischen Zollbeamten angelegt, der behauptet hatte, dass sie Übergepäck dabeihätte. Amy wusste aber ganz genau, dass dem nicht so war. Und das Ende der Geschichte? Ihr Gepäck lag gut verstaut im Flugzeug und sie bekam als Entschuldigung einen Gutschein über zwanzig Dollar für Snacks an Bord. Weshalb also akzeptierten diese beiden Frauen, die sich für alles Mögliche einsetzten und nichts einfach so hinnahmen, Krebs als ihr unabänderliches Schicksal? Ich kannte die Antwort. Es lag an ihrem Glauben. Doch für mich war das (noch) keine Option.
Jeden Tag um die Mittagszeit gingen wir nach unten. Delia bereitete zu, was immer sich die Mädels wünschten: gegrillten Käse, Brot mit Erdnussbutter und Marmelade, Suppe.Anschließend gingen entweder Delia und Davis, Martha, Larry, Tim oder Ross eine Zeit lang mit den Mädels nach draußen zum Spielen und weil sie selbst dringend frische Luft brauchten. Ross verkraftete den Tod seiner Frau nur schwer. Wann immer er sich mit Maura hinsetzte, um ein Spiel mit ihr zu spielen und sie zum Lachen zu bringen, füllten sich seine Augen nach kurzer Zeit mit Tränen, woraufhin er das Zimmer verließ. Ich beobachtete, wie er dann ins Freie trat, tief Luft holte und Stöcke in die Luft warf.
An irgendeinem Tag – es muss Mittwoch oder Donnerstag gewesen sein – sah ich aus dem Fenster und erblickte Larry, der auf einem Baumstumpf im vorderen Teil unseres Grundstücks hockte. Tim stand mit einer Flasche Bier in der Hand neben ihm, Maura fuhr mit ihrem Roller die Auffahrt entlang und Sam krabbelte ihr hinterher. Martha und Delia jäteten Unkraut. Noch vor wenigen Monaten war mein Familienbaum ziemlich ausgedünnt gewesen. Und jetzt, obwohl ein wichtiger Teil weggebrochen war, war der familiäre Zusammenhalt größer denn je.
Da die Mädels gut aufgehoben waren, ging ich allein nach oben und stellte mich unter die Dusche. Das Wasser war so heiß, dass es schon nicht mehr angenehm war, aber ich ließ es trotzdem auf mich herunterprasseln, bis meine Haut krebsrot war und sich meine Zehen krümmten. Ich schluchzte und weinte ungebremst, bis ich husten musste. Ich sank auf meine Knie, zog mich selbst an den Haaren und donnerte mit meinen Fäusten an die Fliesen. Immerhin erschöpfte mich das so sehr, dass ich es durch den restlichen Tag schaffte und es mir die Kraft gab, tapfer für Maura und Sam zu sein.
Ich fragte Maura schon gar nicht mehr, wo sie schlafen wollte. Es lag auf der Hand, dass sie mich brauchte, ihre Ersatz-Mom, die sie Wärme und mütterliche Fürsorge spüren ließ. Zum Einschlafen kuschelte sie sich in meine Arme, und Sam, die es wohl gut fand, dass ihre große Cousine ständig da war, lag gleichneben ihr. Jeden Morgen lagen die beiden dann schlafend Seite an Seite, und entweder ihre Arme oder Beine lagen übereinander oder zwischen ihren Mündern waren nur ein paar Zentimeter Platz. Die Mädels spendeten sich gegenseitig Trost, ohne es zu wissen. Sie wussten ja nicht, dass sie ein ähnliches Schicksal teilten, dass sie beide – auf unterschiedliche Weise natürlich – von ihren Müttern verlassen worden waren.
Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass doch ein Wunder geschehen war. Was ich zunächst als weiteren
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