Töchter auf Zeit
»Aber nur, wenn es für dich in Ordnung ist. Wenn nicht, kein Problem, dann behalte ich ihn und schaue öfter mit ihm hier vorbei. Ich dachte, ein Welpe könnte sie vielleicht aufmuntern.«
Ich warf einen Blick ins Wohnzimmer, wo sich die Mädels die Bäuche hielten vor Lachen, als der kleine Welpe an ihren Fingern knabberte. »Ich bin ganz deiner Meinung. Ich muss natürlich erst Ross fragen. Irgendwann will er seine Tochter bestimmt zurückhaben. Aber wenn es bei ihnen nicht geht, dann nehmen wir ihn. Tim hat bestimmt nichts dagegen. Es sieht ja ganz danach aus, als ob auch Sam verrückt nach ihm ist.«
Nachdem ich den Kaffee aufgebrüht hatte, gingen wir mit unseren Bechern zurück ins Wohnzimmer.
»Wie heißt er denn?«, wollte Maura wissen.
»Er hat noch keinen Namen. Vielleicht fällt dir ja ein schöner ein«, antwortete Larry.
Maura verzog ihren Mund. »Milka! Wie die Schokolade!«
»Klingt gut«, sagte ich.
»Oder wie wäre es mit Naps? Wie in Milka Naps?«, juchzte Maura.
»Hat auch was.« Ich beobachtete Sam, die auf allen vieren den Welpen nachmachte.
»Was ist mit Cookie?« Maura klatschte vor lauter Begeisterung in die Hände. »Das gefällt mir am besten!«
»Das sind alles ganz tolle Namen«, bestätigte ich sie und klopfte dem Hund auf sein samtweiches Fell. »Irgendwie passen sie alle zu ihm.«
Sam grinste, gluckste und versuchte, ein bellendes Geräusch von sich zu geben, doch dann kam etwas heraus, was sich nach »Chip, Chip!« anhörte.
»Hat Sam gerade Chip gesagt?«, fragte Maura.
»Ja, hat sich ganz danach angehört.«
»Hm, das ist ein
echter
Name, und Chocolate Chips gibt’s ja auch.«
»Soll er Chip heißen?«, fragte ich.
»Oh, ja«, kreischte Maura. »Geht das, Opa Larry? Können wir den Hund Chip nennen?«
»Klar. Das ist ein sehr guter Name«, stimmte Larry zu. »Aber da ist noch etwas … Ich habe immer so viel zu tun zu Hause, und da wollte ich dich fragen, ob du und Sam mir Chip nicht abnehmen könnt. Meinst du, ich kann ihn hierlassen?«
Maura sprang in Larrys Arme und drückte ihn so fest sie konnte an sich, dann umarmte sie auch mich. Dann setzte sie sich wieder hin – im Schneidersitz – und streichelte Chip, der sich in Sams Schoß gekuschelt hatte, am Ohr. Beide Mädchen strahlten vor Glück. Offensichtlich empfanden sie genau das Gleiche. Mich durchfuhr sogar der Gedanke, sie würden sich ähnlich sehen.
KAPITEL 23
Der Sommer kam und ging wie das Hitzeflimmern auf schwarzem Asphalt – die unterschiedliche Lichtbrechung der erwärmten Luftschichten verwirrte nicht nur mein Auge, sondern auch meinen Verstand. Irgendwie konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, hatte nur das unbestimmte Gefühl, Geduld haben und langsamer machen zu müssen und die Wahrheit sacken zu lassen. An den meisten Tagen sorgte jedoch Sam für meine Bodenhaftung. Ihr warmer, feuchter Atem riss mich aus den Momenten, in denen alles um mich herum in einem Nebel zu versinken drohte und in denen ich mir gar nicht mehr sicher war, ob alles wirklich passiert oder nur ein Hirngespinst war.
Doch die Zeit blieb nicht stehen – schließlich galt es, Geburtstage, Feiertage und besondere Gelegenheiten zu würdigen. Im Prinzip nichts anderes als Ablenkungsmanöver: Sieh, den leckeren Kuchen, die Geschenke, die Luftballons! Wir gaben uns Mühe. Wir, also ich, Tim und Ross und natürlich die Großeltern – Martha, Larry, Davis und Delia –, die sich tatkräftig der Herausforderung stellten, die Mädchen großzuziehen und über ihren Kummer hinwegzutrösten. Jeder von uns versuchte alleine, aber auch gemeinsam, Maura Normalität zu bieten und Sam alles zu geben, was sie als Adoptivkind brauchte. Doch keiner von uns wusste so recht, was in Krisenzeiten normal war, weshalb wir es sicherlich in allem übertrieben. Wir steckten ihnen ständig Kuchen, Süßigkeiten und Eis zu und sorgten dafür, dass sie in jeder wachen Minute mit Spielen oder Ausflügen beschäftigt waren. Nicht zu vergessen, dass wir immer,
ja immer
, ein Lächeln auf dem Gesicht trugen. Ganz offensichtlich waren wir zu dem Schluss gekommen, dass wir sie unter keinen Umständen zur Ruhe kommen lassen durften. Kinderdauerbespaßung stand aufunserem Programm, denn nur so, schien unsere Annahme zu sein, konnte sich Sam prächtig entwickeln und Maura ihr Herzeleid vergessen, das anderenfalls beständig an ihr nagen würde.
Am Ende jeder unserer geschäftigen Tage kehrte Ruhe bei uns ein, die wir so angenehm empfanden
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