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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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Fall, bis es irgendwo ganz unten in meinem Magen zum Stillstand kam. Tim zeigte mir überglücklich das Bild unserer Tochter.
    »Xu, Long Ling, weiblich, geboren am 4. Dezember 2011«, las Tim vor. »Sie wurde unserer Agentur am 6. Dezember 2011 von der Polizeistation in Xuan Cheng übergeben.«
    »Sie war erst zwei Tage alt, als sie dort gelandet ist«, meinte Claire.
    »Und wie alt ist sie jetzt?«, fragte ich, da ich vor lauter Aufregung nicht mehr rechnen konnte.
    »Etwa elf Monate«, sagte Claire. »Wenn ihr sie kriegt, ist sie ungefähr ein Jahr.« Claire schluckte schwer und hielt sich dann die Hand vor den Mund. Tränen standen in ihren Augen.
    »Wir haben ihr den Namen Xu, Long Ling gegeben«, las Tim weiter vor. »
Xu
steht für ihren Geburtsort.
Long
bedeutet, dass sie im Jahr des Drachens geboren wurde.
Ling
heißt übersetzt klug und spirituell. Dieser Name soll ihr viel Glück und eine verheißungsvolle Zukunft bringen.«
    »Was steht da noch?«, bedrängte ich Tim.
    »Sie mag gedünstete Eier – eine chinesische Spezialität, die am ehesten mit einer herzhaften Eiercreme zu vergleichen ist – oder Reis mit Schweinefleisch, Kekse und Obst. Sie hat einen tiefen Schlaf und ist ein ruhiges Kind, das nicht sehr oft weint.«
    »Wie schön, sie schreit nicht«, sagte ich.
    Claire schaute mich voller Zweifel an. »Ah ja.«
    »Xu Long Ling ist sehr kontaktfreudig und aktiv. Sie ist ein äußerst liebenswertes Kind.«
    »Fotos, Fotos«, rief ich und rieb meine Hände in freudiger Erwartung aneinander.
    Tim setzte sich und legte einen Ausdruck mit drei Fotos vor mich auf den Tisch. Meine Hände zitterten, als ich danach griff. Auf dem ersten Foto saß sie in einem Korb, eingehüllt in viele Decken, und blickte nach oben, als hätte der Fotograf ihre Aufmerksamkeit mit einer Babyrassel erweckt. Sie lächelte in die Kamera und zeigte dabei zwei Zähnchen. An der linken Wange hatte sie ein Grübchen. Das nächste Bild war aufgenommen worden, als sie in ihrem Bettchen lag und sich an ein anderes Baby kuschelte, das viel größer schien als sie selbst. Das dritte Foto war vor einer Fototapete mit Kirschbäumen gemacht worden. Man hätte fast meinen können, unsere Tochter wäre gar nicht mehr in China, sondern schon bei uns und würde die Frühlingsblüte im Nationalpark genießen.
    Ich blinzelte meine aufkommenden Tränen weg und schluckte die aufkeimenden Schuld- und Schamgefühle hinunter. Ich hatte mit einem Mal ein verdammt schlechtes Gewissen, weil ich all die Monate nichts weiter getan hatte, als mich meinen Zweifeln hinzugeben, ob ich ein Adoptivkind würde lieben können. Meine Tochter war bezaubernd, und ohne sie jemals gesehen zu haben, kannte ich sie bereits und konnte auch fühlen, was sie fühlte. Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass sie mich niemals verlassen würde, und selbst wenn, wäre sie nicht allein, denn ich würde ihr bis ans Ende der Welt folgen.
    Ich legte die Hand auf mein Herz und spürte seine Wärme, spürte, wie regelmäßig es schlug. Ich wusste genau, was soeben passiert war: Seine Heilung hatte eingesetzt.
    »O mein Gott«, sagte ich feierlich. »Ich liebe sie jetzt schon!« Wieder legte ich die Hand auf mein Herz, und, ehrlich, es schwoll an und wurde so riesig, dass mir die Luft zum Atmen wegblieb.
    Tim, Claire und Ross sahen mich an. Auch in ihren Augen standen Tränen. »Entschuldigt mich einen Moment«, bat ich, quälte mich aus der Sitzecke hervor, ging über den Empfang in den Vorraum der Damentoilette und ließ mich in den Polstersessel fallen. Mit glasigen Augen stierte ich auf die Armlehne und dachte daran, wie lange ich zwischen zwei Bezügen geschwankt hatte, einmal diesem, Toskanischer Morgen, oder Florentiner Blumen. Ich sank auf die Knie und dankte Gott. Jetzt war mir klar, dass Liebe weder Vorurteile noch Landesgrenzen kennt. Dass man ein Kind auch dann lieben kann, wenn man nicht mit ihm schwanger war und es nicht unter Schmerzen auf die Welt gebracht hat.
    Ich tupfte mir die Augen mit einem feuchten Tuch ab und ging wieder zurück zu den anderen.
    »So, Helen, mein Schatz. Wenn du sie jetzt schon so sehr liebst, wie soll sie denn dann heißen?«, fragte mich Tim.
    »Sam. Samantha Ann, nach unserer Mutter, wenn das für dich okay ist.«
    Claire drückte mich ganz fest an sich, und ich spürte, wie sich ihr Brustkorb hob und wieder senkte. »Wie schön, Helen.«
    »Ich habe diesen Namen die ganze Zeit gehütet wie einen Schatz, weil ich davon ausging, dass

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