Töchter auf Zeit
auch nur im Entferntesten daran zu denken, dass ich jetzt schwanger werden muss, ohne mir vorzustellen, wie sein durchtrainierter Same zu meinem prallen Ei schwamm und in es eindrang, und ohne dass ich Stoßgebete gen Himmel sandte.
Nach unserer dritten Verabredung waren Tim und ich damals zum ersten Mal miteinander ins Bett gegangen. Zuvor hatte er mir ein unglaublich leckeres Abendessen bereitet: Filet Mignon und Hummerschwänze; dazu gab es Chianti in rauen Mengen. Ich erinnere mich noch immer an den buttrigen Geschmack von Tims Mund, an die kratzigen Bartstoppeln und den Geschmack von Salz auf seiner Haut. In diesem Augenblick wurde mir klar, wie einsam ich mein ganzes Leben ohne ihn gewesen war: Mein Vater hatte mich verlassen, meine Mutter war gestorben. Ich wusste, eines Tages würde ich Tim anvertrauen, wie mutterseelenallein ich mich gefühlt hatte. Und obwohl es ein Risiko war, so kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, schon mit Tim Sex zu haben, hatte ich doch nie daran gezweifelt, dass wir uns anschließend weiter sehen würden. Ich war förmlich in Tim hineingekrochen, weil ich Claires Stimme in meinem Kopf loshaben wollte, die mich permanent mahnte: »Nach zwei oder drei Drinks ist Schluss! Sorg dafür, dass er dich um ein weiteres Rendezvous bittet. Gib dich niemals zu früh hin!«
Mit den zugesandten Fotos in der Hand schlüpfte ich aus dem Bett, warf noch einen Blick auf Tim, der sofort nach dem Sex eingeschlafen war, ging nach unten und schaltete meinen PC ein.
Da ich nun Sams Heimatort und den Namen des Waisenheims kannte, googelte ich danach. Zuerst sah ich mir die Webseite ihres Geburtsortes an – ein kleines Dorf im ländlichenChina, etwa drei Autostunden von einem Ballungsgebiet im Süden Chinas gelegen. Die Webseite schwärmte von dem milden Klima, der abwechslungsreichen Landschaft, den malerischen Bergen und der spektakulären Aussicht. Ich las, dass schon zig Schlachten um diesen strategisch günstig gelegenen Ort geschlagen worden waren, von dem Einfluss der zahlreichen buddhistischen Tempel, die einen Einblick in ihr klösterliches Leben gestatteten, und von der prächtigen Feier zu Silvester, bei der die ganze Stadt auf den Beinen war und ausgelassen das neue Jahr begrüßte. Jeder normale Mensch würde sich jetzt denken
Was für ein nettes Dorf, da sollte ich mal hinfahren.
Dann klickte ich auf die Webseite des Children’s Welfare Institute, die im Heim vermutlich selbst erstellt worden war: Adresse, ein paar Außenaufnahmen des weißen Betongebäudes, ein Bild der Straße, die ins Waisenhaus führt. Hätte man es uns nicht gesagt, hätten wir niemals vermutet, dass auf dieser Straße jede Menge Neugeborene ausgesetzt wurden. Keine Frage, die Öffentlichkeit musste mehr von Sam und ihren Leidensgenossinnen erfahren! Was, wenn man der Kreativität von ein paar Marketinggurus freien Lauf ließe?
Ein absolutes Muss! Wunderhübsche kleine Mädchen! Nehmen Sie noch heute eines mit nach Hause. Zufriedenheit, Glück und viel Spaß – garantiert!
Doch jetzt würde alles gut werden. Vielleicht hatte das Land China diese Babys im Stich gelassen, aber Eltern wie Tim und ich käme das niemals in den Sinn. Das Einzige, was noch erledigt werden musste, war der Anruf bei der Adoptionsagentur, um den Termin für unsere große Reise festlegen zu können. Ich musste so schnell wie möglich nach China. Ich wollte endlich meine Tochter in die Arme schließen.
Nicht mehr lange, mein Kind
, betete ich, dann ist deine
Mommy da.
TEIL 2
KAPITEL 11
Tims Eltern Davis und Delia kamen am Mittwoch um vier Uhr nachmittags zu uns, zwei Tage bevor wir nach China flogen. Sie wohnen rund fünf Autostunden von uns entfernt in einer Villenresidenz auf einem Golfplatz an der Küste von North Carolina, nur eineinhalb Kilometer vom Strand entfernt. Als Delia mich in die Arme schloss, brach sie in Tränen aus, riss sich dann aber zusammen und setzte ein glückliches Gesicht auf. »Ach Helen, das ist für uns der schönste Tag unseres Lebens.«
Vor lauter Aufregung bekam ich Schluckauf und auch in meinen Augen standen Tränen, denn sie hatte ja recht. In wenigen Tagen würde ich Sam in den Armen halten können. Planmäßig sollten wir am Freitag nach Peking fliegen und irgendwann am Samstag dort landen. Wir waren eine kleine Truppe von Adoptiveltern. Wir sollten unsere Babys ein paar Tage später in unserem Hotel überreicht bekommen.
Tim und sein Vater genehmigten sich ein Bier auf der Veranda, während
Weitere Kostenlose Bücher