Töchter auf Zeit
damit du es kapierst?« Ross schüttelte den Kopf.
»Gar nichts«, sagte ich. »Aber ich glaube an Claire. Sie hat ihr ganzes Leben lang gekämpft und alles erreicht, was sie wollte.«
»Mit harter Arbeit hat noch niemand den Kampf gegen Krebs gewonnen.« Mit diesen Worten ließ mich Ross stehen und gingzur Verandatür hinaus. Dann nahm er einen Stecken in die Hand und warf ihn mit aller Kraft in die Luft.
Bis jetzt hatte niemand außer Claire, die jede Möglichkeit bis ins Kleinste durchgeplant hatte, ausgesprochen, was Ross eben gesagt hatte. Niemand hatte gesagt, dass Claire im Sterben lag. Das Unausgesprochene war unsere Quelle der Hoffnung. Das Unfassbare auszusprechen erstickte alle Hoffnung.
»Ich sehe nach ihr«, sagte ich zu niemandem und war stinksauer wegen Ross‘ mangelnder Loyalität. Ich setzte Sam in ihre Wippe, damit ihr nichts passieren konnte, und lief die Treppe nach oben.
»Schön, dass du da bist«, sagte Claire, die ein Tablett vor sich hatte. »Ich muss mit dir reden.«
»Worüber denn?«, fuhr ich sie ungeduldig an.
Sie sah mich erstaunt an. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Nichts. Was willst du mir sagen?«
Ich hatte keine Ahnung, was sie mit mir zu bereden hatte, und ich wollte es auch gar nicht wissen! Ich hatte die Schnauze voll von ernsten Unterredungen. Letzten Monat war Claire – nur für den Fall der Fälle – jeden einzelnen Punkt ihres Testaments mit mir durchgegangen. Sollte Ross nach Claires Tod etwas passieren, würden Tim und ich Mauras Vormundschaft übernehmen. Claire hatte mir die Liste mit allen guten Ratschlägen für Maura gezeigt:
Schnall dich immer an! Du gehst unter keinen Umständen allein zu deinem Auto! Du joggst grundsätzlich zu zweit! Denk immer daran, wie sehr ich dich liebe!
Sie war ihren Schmuck, ihre Bilder, ihren Schreibtisch und ihren Kleiderschrank durchgegangen. Sie hatte ihr eigenes Begräbnis minutiös geplant, die Grabstätte ausgesucht und über die Beisetzung gesprochen – besser im offenen oder im geschlossenen Sarg? Keine Frage, um Mauras Seelenheil willen auf alle Fälle im geschlossenen. Was in aller Welt wollte sie jetzt ansprechen?
»Wir können auch ein anderes Mal reden«, meinte Claire nach einer kurzen Weile.
»Nein, ist schon okay. Worum geht es?«
»Ich habe ein Geschenk für dich.«
»Oh. Sorry wegen vorhin.« Ich fragte mich, ob sie mir jetzt schon ihre Klamotten vom letzten Jahr vererben wollte. Anscheinend würde sie erst dann damit aufhören, mich zu Bundfaltenhosen und Twinsets zu überreden, wenn sie nicht mehr bei uns wäre.
»Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich will dir meine Eier geben.«
»Deine was? Deine
Eier
?« Als Köchin dachte ich an Essbares und konnte nicht nachvollziehen, weshalb sie sich Gedanken über den Inhalt ihres Kühlschranks machte.
»Ja, meine
Eier
«, sagte Claire und deutete auf ihren Unterbauch.
»Bevor ich operiert wurde«, sagte sie. »Ließ ich meine Eier einfrieren. Schließlich wusste ich, dass eine Hysterektomie im Bereich des Möglichen lag. Und so kam es dann ja auch. Wie auch immer, mein linker Eierstock war nicht mehr zu gebrauchen – voller Krebs –, aber der rechte war in Ordnung. Das
Einzige
, was in Ordnung war. Sie haben meine ganzen verbliebenen Eier abgesaugt, gereinigt und dann eingefroren. Damals hoffte ich noch, dass Ross und ich sie eines Tages brauchen könnten, wenn wir ein zweites Kind planen würden. Aber bei mir wird das wohl nichts mehr. Ich würde mich allerdings sehr geschmeichelt fühlen, wenn du versuchen würdest, mit meinen Eiern ein Kind zu bekommen.«
»Du willst mir deine Eier geben?«, fragte ich sie mit großen Augen.
»Ja.«
»Heißt das, du gibst auf? Du schmeißt das Handtuch?«
»Helen«, sagte Claire. »Ich mache alles, was die Ärzte mir sagen, aber vielleicht ist das ja nicht genug …«
»Ich fasse es nicht, dass du jetzt aufgibst!«, brüllte ich los. »Du hast noch nie im Leben etwas hingeworfen. Und das machst du ausgerechnet jetzt? Jetzt fängst du damit an?« Meine Knie zitterten und ich musste mich an den Rand ihres Bettes setzen. »Wo ist deine Kampfeslust?«, hakte ich nach. »Jeden Tag kämpfen irgendwelche Leute gegen den Krebs an!«
Claire sah mich nur mit zusammengezogenen Brauen an und gab mir damit zu verstehen, dass ich wohl recht hätte, dass aber auch jeden Tag Menschen an Krebs sterben.
Später, als ich wieder zu Hause war, saß ich mit Sam und Maura am Tisch. Sam saß in ihrem
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