Töchter auf Zeit
der Anblick meiner Mutter, die kraftlos in ihrem Bett lag, abgestoßen, und nun musste Maura das Gleiche durchmachen und einen Weg für sich finden, wie es nur eine Vierjährige tun konnte. Sie wollte sich nicht zu ihr ins Bett legen und kuscheln, verweigerte Küsse und Umarmungen. Claire tat so, als würde es ihrnichts ausmachen, aber wir alle wussten, dass es sie umbrachte. Der Krebs zerstörte ihren Körper, aber von ihrer Tochter zurückgewiesen zu werden brach ihr das Herz.
»Sie ist immer noch deine Mommy«, sagte ich mit sanfter Stimme. »Na, komm schon, meine Süße. Jetzt gehen wir da rein und setzen unser schönstes Lächeln für sie auf. Oder wir schneiden ein paar Grimassen. Was meinst du?« Ich verdrehte die Augen und streckte die Zunge heraus. »Lass uns reingehen, sie ganz fest drücken. Und dann sagen wir ihr, wie sehr wir sie lieben, okay?«
»Was ist mit meinem Geburtstag?«, fragte Maura mit dünner Stimme.
Ach, du Schreck! Natürlich, ihr Geburtstag. In nur zwei Wochen würde sie fünf.
Maura atmete heftig ein und aus, ihr Mund verzog sich nach unten und sie bekam knallrote Wangen. Ich stieg aus dem Auto, öffnete die hintere Tür und setzte mich neben sie. Ich schnallte sie ab und befreite sie aus ihrem Kindersitz, zog sie auf meinen Schoß und hielt sie ganz fest in meinen Armen. Ihr feuchter Mund drückte gegen meinen Hals und sie klammerte sich an mir fest wie eine Ertrinkende. »Ich will meine Mommy wiederhaben«, weinte und kreischte sie zugleich. Ich hielt sie fest, schaukelte vor und zurück, bis ihr Schluchzen aufhörte. Ich wollte nur eines: mich bei ihr entschuldigen, dass ihre Mutter und ich so selbstsüchtig waren. Wir hatten beide Töchter bekommen, ohne Garantie, dass wir sie würden großziehen können. Wir hatten genau gewusst, dass die Statistiken gegen uns sprachen, und trotzdem hatten wir es getan.
»Alles ist gut, alles ist gut«, sagte ich und wusste, dass es alles andere als gut war. Ich wusste ganz genau, was Maura durchmachte, ich wusste, dass der Gedanke, Claire zu verlieren, einem mitten durchs Herz schnitt und die Luft zum Atmen nahm.
»Wir können uns ja noch etwas Zeit lassen, bis wir zu ihr reingehen«, sagte ich. »Was hältst du von einem Eis in der Cafeteria? Wir können doch
jetzt gleich
damit anfangen, deinen Geburtstag zu feiern. Wir sehen später nach Mom, okay?«
Maura nickte, zwinkerte ein paar Mal und zog die Nase hoch. Sam wachte auf, als ich sie aus dem Kindersitz nahm. »Eiskrem?«, fragte ich mein schläfriges Baby. In der Cafeteria suchten sich die Mädels ihr Lieblingseis aus und aßen es, ohne ein Wort zu sagen. Anschließend wusch ich ihnen die Hände und das Gesicht ab und schob sie sanft in den Fahrstuhl. Maura durfte den Knopf drücken. Als wir Claires Zimmer betraten, sah ich, dass Pater O’Meara neben ihr saß und ein Gebet sprach.
»Hi zusammen!«, rief Claire in dieser hohen Stimme, die Fröhlichkeit und gute Laune vortäuschen und Maura beruhigen sollte. »Komm zu mir, mein Schatz.«
Sie winkte Maura zu und klopfte auffordernd auf ihr Bett, aber Maura marschierte schnurstracks in die Gegenrichtung und setzte sich auf das Sofa, das in der anderen Ecke des Zimmers stand.
Claire trug eine Flanellschlafanzughose und ein Sweatshirt, eine Strickmütze und zwei paar Wollsocken übereinander. Sie fror die ganze Zeit.
»Wir sprachen gerade ein paar Gebete«, sagte sie. »Wollt ihr euch uns anschließen? Maura, was ist, willst du Pater O’Meara zeigen, wie gut du das Vaterunser beten kannst?«
Maura schüttelte den Kopf, und mit einem Mal ergriff mich Panik. Mit einem Mal fühlte ich mich ebenso ängstlich und kindlich wie Maura. Die Tatsache, dass Pater O’Meara hier war, verhieß nichts Gutes. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich musste dringend an die frische Luft.
»Nehmt euch so viel Zeit ihr braucht«, sagte ich zu Claire und dem Pater. »Ich gehe solange mit den Mädels raus zum Spielen. Wir kommen aber wieder!«
»Was für ein Unfug«, ertönte da Claires Stimme. »Bleib. Ich will wissen, wie die Nacht für Maura war.«
Seit Claire wieder im Krankenhaus lag, übernachtete Maura bei uns. Sam als willkommene Spielkameradin lenkte Maura erheblich von ihrem Kummer ab.
Renn, hüpf und spring,
feuerte ich Maura an. Bleib immer schön in Bewegung, dann kriegt der Schmerz dich nicht zu fassen.
»Wir sind gleich wieder da! Versprochen!« Ich setzte Sam ein Stück höher auf meine Hüfte, nahm Maura an der Hand und
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