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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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küsse ich seine Fingerspitzen. »Du und ich, Pearl, wir hatten vielleicht kein gutes Los im Leben, aber Joy ist unsere Zukunft. Wenn wir nur ein Kind haben, können wir ihm alles geben. Sie kann die Bildung bekommen, die ich nie hatte. Vielleicht wird sie Ärztin oder... Das ist alles nicht so wichtig, denn sie wird uns immer ein Trost und eine Freude sein.«
    Er küsst mich, und ich erwidere seinen Kuss. Wir sitzen auf der Bettkante, ich muss also nur die Arme um ihn schlingen und ihn mit hinunterziehen, als ich mich hinlege. Obwohl auch die anderen in der Wohnung sind und das Quietschen des Bettes und das unterdrückte Stöhnen hören, tun Sam und ich, was Eheleute tun. Es fällt mir nicht leicht. Ich kneife die Augen zu, und Angst erfüllt mein Herz. Ich versuche mich auf seine Muskeln zu konzentrieren, die auf den Feldern gearbeitet, Rikschas durch meine Heimatstadt gezogen und erst vor Kurzem meine Joy getragen haben. Was Eheleute tun, wird mir niemals großen Genuss bringen, wird niemals Wolken und Regen auslösen, die
Wonne von einhundert Jahren bringen oder was auch immer die Dichter schreiben. Für mich geht es darum, Sam nahe zu sein, es geht um die Sehnsucht nach unserer Heimat, um unsere Eltern, die uns fehlen, die Mühsal unseres täglichen Lebens hier in Amerika, wo wir wang k’uo nu sind - Sklaven ohne Land, die auf ewig unter fremder Herrschaft leben.
    Nachdem er fertig ist und etwas Zeit vergangen ist, stehe ich auf und gehe ins große Zimmer, um Joy zu holen. Vern und May sind schon in ihrem Zimmer, aber der Alte Herr Louie und Yen-yen tauschen wissende Blicke aus.
    »Bringst du mir jetzt einen Enkelsohn?«, fragt Yen-yen, als sie mir Joy reicht. »Du bist eine gute Schwiegertochter.«
    »Du wärst eine noch bessere Schwiegertochter, wenn du deiner Schwester sagen würdest, dass sie auch ihre Aufgabe erledigen soll«, fügt der Alte Herr hinzu.
    Ich gebe keine Antwort. Ich bringe Joy in unser Zimmer und lege sie in die unterste Schublade der Kommode. Dann nehme ich den kleinen Beutel ab, den mir Mama damals gegeben hat. Ich ziehe die oberste Schublade auf und lege den Beutel zu dem anderen, den May Joy geschenkt hat. Ich brauche ihn nicht mehr. Nachdem ich die Schublade zugeschoben habe, wende ich mich wieder Sam zu. Ich ziehe mich aus und steige nackt ins Bett. Als er mir mit der Hand über die Hüfte streicht, nehme ich meinen Mut zusammen und stelle ihm noch eine Frage.
    »Manchmal verschwindest du auch nachmittags«, sage ich. »Wohin gehst du dann?«
    Die Hand auf meiner Hüfte hält inne. »Pearl.« Er spricht meinen Namen ganz weich und gedehnt aus. »Ich war in Shanghai nicht an solchen Orten, und ich werde sie auch hier nie aufsuchen.«
    »Aber wo...«
    »Ich gehe zum Tempel, doch diesmal, um meiner Familie, deiner Familie und sogar den Ahnen der Louies Opfer zu bringen …«

    »Meiner Familie?«
    »Du hast mir gerade erst erzählt, wie deine Mutter gestorben ist; allerdings war mir schon klar, dass sie nicht mehr am Leben sein konnte, auch dein Vater nicht. Sonst wärst du nicht zu uns gekommen.«
    Er ist klug. Er kennt mich gut, und er versteht mich.
    »Ich habe unseren Vorfahren auch nach unserer Hochzeit Opfer gebracht«, fügt er hinzu.
    Ich nicke. Also hat er diese Frage auf Angel Island ehrlich beantwortet.
    »Ich glaube nicht an solche Sachen«, gestehe ich ihm.
    »Das solltest du aber vielleicht. Wir machen das seit fünftausend Jahren.«
    Als wir noch einmal tun, was Eheleute tun, erklingen Sirenen in der Ferne. Am nächsten Morgen erfahren wir, dass in China City ein Feuer gewütet hat. Manche behaupten, es sei ein Unfall gewesen, glimmende Überreste des Feuerwerks hinter George Wongs Fischmarkt hätten es entfacht, während andere sicher sind, dass es Brandstiftung war, begangen von Leuten aus New Chinatown, denen Christine Sterlings Vorstellung von einem »echten chinesischen Dorf« nicht gefällt, oder auch von Leuten aus der Olvera Street, die keine Konkurrenz haben wollen. Es wird getratscht und gemutmaßt, doch wer auch immer den Brand verursacht hat, das Feuer hat einen großen Teil von China City beschädigt oder zerstört.

SELBST DER SCHÖNSTE MOND
    Der Feuergott macht keine Unterschiede. Er entzündet Lampen, lässt Glühwürmchen leuchten, legt ganze Dörfer in Schutt und Asche, er verbrennt Bücher, kocht Essen und spendet Familien Wärme. Als Mensch kann man nur darauf hoffen, dass ein Drache - mit seiner Wasseressenz - ungewollte Brände löscht, wenn es dazu

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