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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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verdient er in einer Woche mehr Geld, als ihm sein Antiquitätenladen in drei Monaten einbringt, das kann ich ihm versprechen.« Bei der Vorstellung müssen wir lachen.
    Die Leute in Chinatown bezeichnet man oft als »filmverrückt«. Als die Studios begriffen, dass sie Chinesen für nur »fünf Dollar pro Schlitzauge« anstellen konnten, setzten sie unsere Nachbarn für Massenszenen ein oder gaben ihnen stumme Rollen in Filmen wie Sonnenscheinchen , In den Fesseln von Shangri-La, Der General starb im Morgengrauen , Die Abenteuer des Marco Polo , den Charlie-Chan-Filmen und natürlich Die gute Erde . Auch wenn die Wirtschaftskrise abflaut: Die Menschen brauchen Geld und arbeiten auf jede nur mögliche Weise dafür. Selbst Leute aus New Chinatown, die mehr Geld haben als wir, arbeiten gerne als Komparsen. Sie tun es, weil es ihnen Spaß macht und sie sich im Kino auf der Leinwand sehen wollen.

    Ich selbst möchte nicht in Haolaiwu arbeiten. Nicht aus irgendwelchen altmodischen Überlegungen heraus, sondern weil mir klar ist, dass ich nicht hübsch genug bin. Aber meine Schwester ist das, und sie möchte unbedingt dorthin. May verehrt Anna May Wong, auch wenn hier alle über sie lästern, sie wäre eine Schande, denn sie spielt immer Kurtisanen, Dienstmädchen oder Mörderinnen. Aber wenn ich Anna May auf der Leinwand sehe, denke ich daran zurück, wie Z. G. meine Schwester gemalt hat. May leuchtet wie eine Geistergöttin, genau wie Anna May.
    Wochenlang bettelt uns Tom an, ihm unsere cheongsams zu verkaufen. »Normalerweise kaufe ich den Leuten Sachen ab, die sie von einem Besuch in China mitbringen, hier jedoch nicht mehr tragen können, weil sie zu Hause zu viel zugenommen haben. Oder ich kaufe sie von Leuten, die zum ersten Mal hier sind und auf dem Schiff und auf Angel Island stark abgenommen haben. Aber heute fährt wegen des Krieges kein Mensch mehr nach Hause, und diejenigen, die das Glück haben, aus China herauszukommen, müssen meist alles zurücklassen. Doch bei euch ist das anders. Euer Schwiegervater hat vorausgedacht und eure Kleider gleich mitgenommen.«
    Mir würde es nichts ausmachen, unsere Kleider zu verkaufen - ich ärgere mich immer darüber, dass ich sie für die Touristen in China City anziehen muss. Aber May will sich nicht von ihnen trennen.
    »Unsere Kleider sind wunderschön!«, ruft sie empört. »Sie sind ein Teil von uns! Unsere cheongsams wurden in Shanghai genäht. Das Material dafür kam aus Paris. Sie sind elegant - eleganter als alles, was ich hier gesehen habe.«
    »Aber wenn wir ein paar cheongsams verkaufen, können wir uns neue Kleider dafür leisten - amerikanische Kleider«, entgegne ich. »Ich habe es satt, so altmodisch herumzulaufen und auszusehen, als käme ich frisch vom Schiff.«
    »Angenommen, wir verkaufen sie«, fragt May schlau, »was passiert dann, wenn China City wiedereröffnet wird? Dem Alten
Herrn Louie wird es doch sicher auffallen, dass unsere Sachen weg sind.«
    Tom winkt ab. Er hält die Sorge für unbegründet. »Er ist ein Mann. Er merkt das nicht.«
    Natürlich wird er es merken. Er merkt alles.
    »Es wird ihm egal sein, solange wir ihm etwas von dem Geld geben, dass Tom uns dafür zahlt«, sage ich in der Hoffnung, recht zu haben.
    »Gebt ihm bloß nicht zu viel.« Tom kratzt sich den Bart. »Lasst ihn in dem Glauben, dass ihr noch mehr Geld verdient, wenn ihr öfter herkommt.«
    Jede von uns verkauft Tom einen cheongsam . Es sind die ältesten und schlichtesten, die wir haben, doch im Vergleich zu seiner Sammlung sind sie prächtig. Mit dem Geld, das er uns dafür zahlt, gehen wir in eines der amerikanischen Kaufhäuser am Broadway. Wir kaufen Rayonkleider, Stöckelschuhe, Handschuhe, neue Dessous und ein paar Hüte - alles vom Erlös zweier Kleider, und es bleibt noch so viel übrig, dass unser Schwiegervater nicht böse ist, als wir ihm den Rest in die Hand drücken. May legt sich richtig ins Zeug. Sie neckt ihn, schmeichelt ihm, ja, sie flirtet sogar mit ihm, um ihn für ihre Wünsche einzunehmen, genau wie unseren Vater früher.
    »Du willst doch, dass wir immer etwas zu tun haben«, sagt sie. »Wie soll das jetzt gehen? Bak Wah Tom meint, ich könnte fünf Dollar am Tag verdienen. Überleg mal, wie viel das in einer Woche wäre! Und noch etwas mehr, wenn ich mein eigenes Kostüm mitbringe. Ich habe viele Kostüme!«
    »Nein«, sagt der Alte Herr Louie.
    »Mit meinen schönen Kleidern könnte ich vielleicht eine Großaufnahme kriegen. Dafür bekomme

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