Toechter Aus Shanghai
kommt. Ob man nun an solche Dinge glaubt oder nicht, es kann nicht schaden, Opfergaben darzubringen. Vorsicht ist besser als Nachsicht, wie die Amerikaner sagen. In China City, wo niemand versichert ist, bringt man auch keine Opfer, um den Feuergott zu besänftigen oder einen Drachen zum Helfen zu bewegen. Gute Vorzeichen sind das nicht, aber schließlich heißt es in Amerika auch, der Blitz schlägt nie zweimal in denselben Baum.
Es wird mindestens sechs Monate dauern, bis die durch Rauch und Löschwasser beschädigten Teile von China City repariert und die zerstörten Bereiche wieder neu aufgebaut sind. Der Alte Herr Louie ist noch schlechter dran als die meisten, da nicht nur ein Teil seines Geldes verbrannte, das er in seinen diversen Läden versteckt hatte, sondern auch sein eigentlicher Besitz - seine Waren - bloß noch ein Häuflein Asche ist. Die Familie verdient kein Geld, im Gegenteil. Das Meiste wird in den Wiederaufbau gesteckt und für neue Ware aus seinen Fabriken in Shanghai und den Antiquitätenlagern in Kanton ausgegeben (und man muss hoffen, dass die Lieferungen diese Städte auf ausländischen Schiffen verlassen können und sicher durch das von Japanern verseuchte Meer gelangen). Außerdem braucht unsere siebenköpfige Familie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf,
und darüber hinaus müssen noch die Papierteilhaber und Papiersöhne unterstützt werden, die in Junggesellenpensionen in der Nähe wohnen. All das macht meinen Schwiegervater nicht sonderlich glücklich.
Er besteht zwar darauf, dass May und ich bei unseren Männern bleiben und an ihrer Seite arbeiten, aber eigentlich gibt es nichts für uns zu tun. Wir können nicht mit Hammer oder Säge umgehen. Es gibt keine Waren auszupacken, zu polieren oder zu verkaufen. Wir haben keine Böden zu wischen, keine Fenster zu putzen, keine Gäste zu bedienen. Trotzdem gehen May, Joy und ich jeden Morgen hinüber nach China City, um zu sehen, wie die Arbeiten vorangehen. Sams Plan, zusammenzubleiben und unser Geld zu sparen, gefällt May nicht schlecht. »Hier bekommen wir zu essen«, hat sie mir gesagt und damit endlich etwas Reife bewiesen, wie ich finde. »Ja, warten wir, bis wir vier gemeinsam von hier fortkönnen.«
Nachmittags besuchen wir häufig Tom Gubbins in der Asiatic Costume Company, die vom Feuer verschont blieb. Er verleiht Requisiten und Kostüme und vermittelt chinesische Komparsen an Filmstudios, aber ansonsten ist er ein rätselhafter Typ. Manche sagen, er wurde in Shanghai geboren. Manche sagen, er sei zu einem Viertel Chinese. Manche sagen, er sei halb-halb. Manche sagen, er habe keinen Tropfen chinesisches Blut in sich. Manche nennen ihn Onkel Tom. Andere nennen ihn Lo Fan Tom. Wir nennen ihn Bak Wah Tom - Kino-Tom -, so hat er sich mir bei der großen Eröffnung von China City vorgestellt. Von Tom lerne ich, dass man sich einen Namen machen kann, wenn man sich mit Geheimnissen umgibt, Verwirrung stiftet und zu Übertreibungen neigt.
Er hilft vielen Chinesen - er kleidet sie ein, kauft ihnen ihre Kleider ab, sucht ihnen Zimmer, besorgt ihnen Arbeit, bringt werdende Mütter in Krankenhäusern unter, die nicht gerade chinesenfreundlich sind, begleitet die Leute zu Verhören durch die Einwanderungsbeamten, die immer nach Papierkaufleuten und Papiersöhnen suchen -, aber beliebt ist Tom Gubbins nicht. Vielleicht
liegt es daran, dass er früher als Dolmetscher auf Angel Island gearbeitet hat, wo ihm vorgeworfen wurde, eine Frau geschwängert zu haben. Vielleicht liegt es an seiner Vorliebe für junge Mädchen, auch wenn andere behaupten, er hätte eine Schwäche für junge Männer. Ich weiß nur, dass sein Kantonesisch so gut wie perfekt ist und dass er den Wu-Dialekt sehr gut beherrscht. May und ich hören den Dialekt unserer Heimat aus seinem Munde sehr gerne.
Tom möchte, dass meine Schwester als Komparsin beim Film arbeitet; der Alte Herr Louie ist natürlich dagegen. »Das ist ein Beruf für Frauen mit drei Löchern«, sagt er. So etwas aus seinem Mund zu hören, ist keine Überraschung, aber er spricht nur aus, was viele ältere Leute denken, für die Schauspielerinnen - ob sie in der Oper, in Theaterstücken oder im Film auftreten - kaum etwas Besseres als Prostituierte sind.
»Bearbeite deinen Schwiegervater einfach weiter«, rät Tom May. »Sag ihm, einer von vierzehn seiner Nachbarn arbeitet beim Film. Auf diese Weise kann man sich gut etwas dazuverdienen. Ich könnte sogar ihm eine Rolle besorgen. Damit
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