Toechter Aus Shanghai
für Joy gespart«, erklärt er.
Ich streiche mit der Hand über das Geld. »Du bist ein guter Mensch«, sage ich, aber es ist schwer vorstellbar, wie dieses Almosen Joys Leben verändern soll.
»Ich weiß schon, viel ist es nicht«, gibt er zu, »doch es ist mehr, als ich als Rikschafahrer verdient habe, und es kommt noch mehr dazu. Wer weiß, in einem Jahr oder so kann ich vielleicht zweiter Koch werden. Falls ich es irgendwann zum ersten Koch bringe, kann ich bis zu zwanzig Dollar die Woche verdienen. Sobald wir es uns dann leisten können, uns selbstständig zu machen, werde ich Fischhändler oder vielleicht Gärtner. Wenn ich Fischhändler bin, können wir immer Fisch essen. Wenn ich Gärtner bin, können wir immer Gemüse essen.«
»Ich spreche gut Englisch«, biete ich zaghaft an. »Ich könnte mir vielleicht eine Stelle außerhalb von Chinatown suchen.«
Aber ganz ehrlich, wie kommen wir beide auf die Idee, der Alte Herr Louie würde uns jemals freigeben? Und selbst wenn, muss ich Sam dann nicht die Wahrheit sagen? Nein, nicht über Joy! Dieses Geheimnis gehört allein May und mir, und ich werde es niemals verraten, doch ich muss ihm gestehen, was mir die Affenmenschen angetan und wie sie Mama umgebracht haben.
»Ich wurde besudelt, und diesen Schmutz kann ich niemals wieder abwaschen«, beginne ich vorsichtig. Hoffentlich stimmt es, was Mama über den Ochsen gesagt hat: dass er einen in schweren Zeiten nicht im Stich lässt, dass er einem treu zur
Seite steht und wohltätig und gut ist. Jetzt muss ich ihr einfach glauben! Doch die Gefühle, die sich in seiner Miene spiegeln - Wut, Abscheu und Mitleid -, machen es mir nicht leicht, die Geschichte zu erzählen.
Als ich fertig bin, sagt er: »Das alles hast du durchgemacht, und Joy ist trotzdem unversehrt auf die Welt gekommen. Sie muss eine große Zukunft vor sich haben.« Er legt mir den Finger auf die Lippen, damit ich nicht weiterspreche. »Ich möchte lieber mit gesprungener Jade als mit makellosem Lehm verheiratet sein. Mein Vater hat immer gesagt, es sei keine Kunst, einem Brokatstoff noch eine Blume hinzuzufügen, aber wie viele Frauen tragen im Winter die Kohlen herein? Er hat von meiner Mutter gesprochen, die eine gute und treue Frau war, genau wie du.«
Als wir hören, dass die anderen die Wohnung betreten, rühren wir uns beide nicht. Sam beugt sich zu mir vor und flüstert mir ins Ohr: »Auf der Bank im Yu-Yuan-Garten habe ich dir gesagt, dass du mir gefällst, und dich gefragt, ob ich dir auch gefalle. Du hast nur genickt. In einer arrangierten Ehe ist das mehr, als wir erhoffen dürfen. Ich habe nie mit wahrem Glück gerechnet, aber sollten wir nicht danach streben?«
Ich drehe mich zu ihm um. Unsere Lippen berühren sich beinahe, als ich flüstere: »Willst du nicht noch mehr Kinder?« Obwohl ich ihm jetzt so nahe bin, kann ich ihm nicht die ganze Wahrheit sagen. »Nach Joys Geburt haben mir die Ärzte auf Angel Island gesagt, ich könne keine Kinder mehr bekommen.«
»Zu uns Jungen sagt man, wenn wir mit dreißig noch keinen Sohn haben, hat uns das Glück verlassen. Die schlimmste Beleidigung, die einem auf der Straße nachgerufen werden kann, lautet: ›Du sollst ohne Söhne sterben!‹ Haben wir keinen Sohn, sollen wir einen adoptieren, damit er den Familiennamen weiterträgt und sich um uns kümmert, wenn wir einmal Ahnen sind. Aber wenn man einen Sohn hat, der... der nicht... der kein...« Wie May und ich hat er Mühe, einen Namen für Vernons Problem zu finden.
»Dann kauft man einen Sohn, so wie der Alte Herr Louie dich gekauft hat«, beende ich den Satz für ihn, »damit du dich um ihn und um Yen-yen kümmerst, wenn sie Ahnen werden.«
»Und wenn ich es nicht tue, dann der Sohn, den wir ihnen vielleicht eines Tages schenken. Ein Enkel würde ihnen ein glückliches Dasein hier und im Jenseits garantieren.«
»Nur kann ich ihnen den nicht schenken.«
»Das brauchen sie nicht zu erfahren, und mir ist es egal. Wer weiß? Vielleicht schenkt Vern deiner Schwester einen Sohn, und alle Schulden und Verpflichtungen sind Vergangenheit.«
»Aber Sam, ich kann auch dir keinen Sohn schenken.«
»Es heißt immer, eine Familie ohne Sohn ist unvollständig, doch ich bin glücklich mit Joy. Sie ist mein Herzblut. Jedes Mal, wenn sie mich anlächelt, nach meinen Fingern greift oder mich mit ihren schwarzen Augen anschaut, weiß ich, wie glücklich ich mich schätzen kann.« Während er spricht, führe ich seine Hand an meine Wange, dann
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