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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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ich zehn Dollar. Wenn ich einen Satz sprechen darf - nur einen einzigen Satz -, gibt es zwanzig Dollar.«
    »Nein«, sagt der Alte Her Louie wieder, aber diesmal ist ihm anzusehen, wie er im Geiste das Geld zählt.

    Mays Unterlippe zittert. Sie verschränkt die Arme, sackt in sich zusammen und gibt ein Bild des Jammers ab. »In Shanghai habe ich als Kalendermädchen gearbeitet. Warum kann ich hier nicht etwas Ähnliches machen?«
    Nach und nach beginnt der Berg zu bröckeln. Ein paar Wochen später gibt der alte Herr Louie schließlich nach. »Einmal. Einmal darfst du.«
    Yen-yen verlässt schnaubend das Zimmer. Sam schüttelt ungläubig den Kopf, und mir steigt vor Freude Farbe ins Gesicht, dass May den Alten Herrn besiegt hat, weil sie einfach sie selbst war.
    Wie Mays erster Film heißt, bekomme ich nicht mit, aber da sie eigene Kleider hat, darf sie eine Kurtisane statt einer Bäuerin spielen. Sie bleibt drei Nächte über weg und schläft während des Tages, daher erfahre ich erst nach Beendigung der Dreharbeiten, wie es ihr ergangen ist.
    »Ich saß die ganze Nacht in einem nachgebauten Teehaus und habe Mandelkekse geknabbert«, erzählt sie verträumt. »Der Regieassistent hat mich ›süßer Fratz‹ genannt. Stell dir das vor!«
    Tagelang nennt sie Joy auch ›süßer Fratz‹, wobei ich keine Ahnung habe, was das sein soll. Als May das nächste Mal als Komparsin arbeitet, kommt sie mit einem neuen Ausdruck zurück: »Was zum Henker«, zum Beispiel in: »Was zum Henker hast du bloß in diese Suppe getan, Pearl?«
    Oft prahlt sie damit, was sie alles gegessen hat. »Wir bekommen zwei Mahlzeiten am Tag, und zwar gutes Essen - amerikanisches! Ich muss aufpassen, Pearl, wirklich, sonst werde ich zu dick. Dann passe ich nicht mehr in meinen cheongsam . Wenn ich nicht perfekt aussehe, bekomme ich nie eine Sprechrolle.« Schließlich fastet sie immer, bevor Tom ihr einen Job vermittelt, und noch Tage danach, um wieder abzunehmen, was sie vermeintlich zugelegt hat. Jemand, der so schlank ist, macht Diät! Jemand, der weiß, was es bedeutet, durch Krieg, Armut und Unwissenheit nichts zu essen zu haben. Und das nur, weil sie hofft,
ein Regisseur würde sie einen Satz sprechen lassen. Sogar ich weiß, dass bis auf Anna May Wong und Keye Luke, der Charlie Chans Sohn Nummer eins spielt, nur lo fan Sprechrollen bekommen. Man schminkt sie gelb, klebt ihnen die Augen nach hinten, und sie tun so, als sprächen sie Chopsuey-Englisch.
    Im Juni hat Tom eine neue Idee, die May begeistert aufnimmt und unserem Schwiegervater vorträgt, der sie gleich als seine eigene ausgibt.
    »Joy ist ein hübsches Kind«, sagt Tom zu May. »Sie wäre eine perfekte Komparsin.«
    »Mit ihr kannst du mehr Geld verdienen als mit mir«, richtet May dem Alten Herrn Louie aus.
    »Pan-di hat Glück für ein Mädchen«, vertraut mir der Alte Herr an. »Sie kann schon Geld verdienen, obwohl sie noch so klein ist.«
    Ich weiß nicht recht, ob ich will, dass Joy so viel Zeit mit ihrer Tante verbringt, doch wenn der Alte Herr Louie einsieht, dass er mit einem Kleinkind Geld verdienen kann, nun ja …
    »Ich bin einverstanden, aber nur unter einer Bedingung.« Es steht mir zu, Forderungen zu stellen, denn als Joys Mutter kann nur ich die Erlaubnis unterschreiben, dass sie den ganzen Tag über und manchmal, unter der Aufsicht ihrer Tante, auch nachts arbeitet. »Sie darf ihren gesamten Verdienst behalten.«
    Das gefällt dem Alten Herrn Louie nicht. Wie auch?
    »Du musst ihr nie mehr Anziehsachen kaufen«, beharre ich. »Du musst nie mehr für ihr Essen zahlen. Keinen einzigen Penny musst du mehr für Hoffe-auf-einen-Bruder zahlen.«
    Da lächelt der Alte Herr.
     
    Wenn May und Joy nicht arbeiten, halten sie sich mit Yen-yen und mir in der Wohnung auf. An den langen Nachmittagen, an denen wir auf die Wiedereröffnung von China City warten, denke ich oft an Mama und die Geschichten über ihre Kindheit zurück. Als kleines Mädchen durfte sie die Frauengemächer
ihres Elternhauses nicht verlassen, genau wie ihre Großmutter, ihre Mutter, die Tanten, Cousinen und Schwestern, die alle gebundene Füße hatten. Sie saßen in der Falle, machten sich gegenseitig den Rang streitig, zogen übereinander her und ließen spitze Bemerkungen fallen. Hier in Amerika streiten May und Yen-yen nun über alles und jedes wie zwei Schildkröten in einem Eimer.
    »Der jook ist zu salzig«, sagt May zum Beispiel.
    »Da ist zu wenig Salz dran«, antwortet Yen-yen natürlich

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