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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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wollte ich Sams Bett meiden. Ihr haben zu viele Männer Dinge angetan, an die sie sich nicht erinnern will.
    Ich lege ihr die Hand auf den Arm. Unsere Blicke treffen sich, und plötzlich entsteht etwas zwischen uns. Ich erzähle ihr nicht, was mir zugestoßen ist. Wie sollte ich? Aber ich glaube, sie begreift... zumindest ein bisschen, denn sie sagt: »Du hast Glück, dass du Joy hast und dass sie gesund ist. Mein Junge...« Sie holt tief Luft und seufzt. »Vielleicht habe ich zu lange in diesem Gewerbe
gearbeitet. Ich war fast zehn Jahre dabei, als mich der Alte Herr gekauft hat. Damals gab es hier so wenig Chinesinnen - wahrscheinlich kam nicht einmal eine auf zwanzig Männer -, doch er konnte mich billig kaufen, wegen meinem Beruf. Ich war froh, denn so kam ich endlich raus aus San Francisco und landete hier. Aber er war schon damals so, wie er jetzt ist - alt und von Grund auf geizig. Er wollte bloß einen Sohn, und er hat sich sehr bemüht, mir einen zu schenken.«
    Yen-yen nickt einem Mann zu, der den Bürgersteig vor seinem Laden kehrt. Er schaut in die andere Richtung, aus Angst, dass wir ihn um Spenden bitten.
    »Als der Alte Herr in sein Heimatdorf fuhr, um seine Eltern zu besuchen, kam ich mit«, fährt Yen-yen fort. Sie hat das schon einmal erzählt, doch diesmal höre ich aufmerksamer zu. »Er ist dann durch China gereist und hat Waren eingekauft, aber ich bin dort geblieben. Ich weiß nicht, was er sich gedacht hat: dass ich mit seiner Essenz in mir in den Wochen seiner Abwesenheit im Haus bleibe und die Beine hochlege, damit sich vielleicht ein Sohn festsetzt? Doch kaum war er fort, bin ich von Dorf zu Dorf gezogen. Ich spreche Sze Yup. Mein Heimatdorf muss deshalb in den Vier Bezirken liegen, oder? Jeden Tag habe ich nach einem Dorf mit Ginkgobäumen und einem Fischteich gesucht. Ich habe es nie gefunden, und ich bekam auch keinen Sohn. Ich wurde schwanger, aber die Babys wollten die Luft dieser Welt nicht atmen. Jedes Mal, wenn wir nach Los Angeles zurückkamen, meldeten wir, ich hätte in China einen Sohn geboren und bei seinen Großeltern gelassen. So konnten wir die Onkel ins Land holen. Wilburt war mein erster Papiersohn. Er war damals achtzehn, doch wir haben behauptet, er wäre erst elf, damit es zu den eingereichten Unterlagen passte, in denen stand, er wurde ein Jahr nach dem Erdbeben geboren. Dann kam Charley. Mit ihm war es einfach. Wir waren im nächsten Jahr nach China zurückgekehrt, deshalb hatte ich eine Urkunde für einen 1908 geborenen Sohn, und genau in diesem Jahr kam Charley zur Welt.«

    Mein Schwiegervater hatte lange auf den Ertrag - die Ernte - seiner Investition warten müssen, aber für ihn zahlte es sich aus. Er bekam billige Arbeitskräfte für seine Betriebe, und seine Taschen füllten sich.
    »Und Edfred?« Yen-yen lächelt amüsiert. »Er ist Wilburts Sohn.«
    Das wusste ich nicht. Bis vor Kurzem hatte ich noch geglaubt, alle diese Männer wären Sams Brüder.
    »Wir hatten ein Papier für einen Sohn, der 1911 geboren wurde«, fährt Yen-yen fort, »doch Edfred kam erst 1918 zur Welt. Edfred war sechs, als wir ihn hierhergebracht haben, aber laut Papier war er da schon dreizehn.«
    »Und das hat keiner gemerkt?« »Sie haben auch nicht gemerkt, dass Wilburt nicht elf ist.« Yen-yen zuckt die Achseln über die Dummheit der Einwanderungsbeamten. »Bei Edfred haben wir angegeben, er sei klein und unterentwickelt für sein Alter und hätte in seinem Heimatdorf hungern müssen. Die Beamten schluckten die Erklärung, er sei ›mangelhaft ernährt‹. Sie versicherten mir, er würde ›zulegen‹, sobald er im richtigen Land sei.«
    »Das ist alles furchtbar kompliziert.«
    »Es soll ja auch kompliziert sein. Die lo fan versuchen uns daran zu hindern, in ihr Land zu kommen, indem sie ständig die Gesetze ändern, aber je komplizierter sie die Vorschriften machen, desto leichter können wir sie umgehen.« Yen-yen macht eine Pause, damit das richtig bei mir ankommen kann. »Ich hatte nur zwei eigene Söhne. Mein erster Sohn wurde in China geboren. Wir brachten ihn hierher und hatten ein friedliches Leben. Als er sieben wurde, nahmen wir ihn wieder ins Heimatdorf mit, doch er hatte einen amerikanischen Magen, keinen Magen wie die Leute aus dem Dorf. Er ist gestorben.«
    »Das tut mir leid.«
    »Es liegt lange zurück«, sagt Yen-yen fast sachlich. »Aber ich bemühte mich immer, noch einen Sohn zu bekommen. Dann
wurde ich endlich, endlich schwanger. Der Alte Herr war glücklich.

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