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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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überwachten Feuerwerk. In den folgenden Monaten duftet es nach Räucherstäbchen und Gardenien. Chinesische Musik weht leise
durch die Gassen. Zwischen den Touristen tummeln sich Kinder. Mae West, Gene Tierney und Eleanor Roosevelt statten uns einen Besuch ab. Die Shriners richten Veranstaltungen aus, Studentenverbindungen organisieren Ausflüge nach China City, um neue Mitglieder zu werben. Andere Gruppen besuchen das Chinese Junk Restaurant - erbaut nach dem Modell des Flaggschiffs einer Piratenflotte, die vom größten Piraten der Welt angeführt wurde, zufälligerweise eine chinesische Frau. Es liegt im Whangpoo-Hafen, wo die Leute »Piraten-Chow« essen und »Piratengrog« trinken, den ein »fachmännischer Mixologe« zubereitet, »ein kleiner Mann mit großen Cocktails«. In den Gassen wimmelt es vor Amerikanern, aber China City wird nie mehr sein, was es einmal war.
    Vielleicht kommen immer weniger Besucher, weil viele der Originalkulissen, die früher eine große Attraktion waren, nur nachgebaut wurden. Vielleicht bleiben die Leute aus, weil New Chinatown als moderner und unterhaltsamer gilt. Während China City geschlossen war, verführte New Chinatown mit seinen Neonlichtern die Besucher mit dem Versprechen von langen Nächten, Tanz und Unterhaltung. Bei uns in China City hingegen, mit den kleinen Gässchen und den wie Dorfbewohnern gekleideten Leuten, ist es friedlich, ruhig und malerisch - ganz egal, wie viel Piratengrog man trinkt.
    Ich kündige bei Bullock’s und arbeite wie zuvor als Putzfrau und Bedienung in China City. Doch jetzt werde ich anständig für meine Arbeit bezahlt. May hingegen möchte nicht wieder ins Golden Pagoda zurück.
    »Bak Wah Tom hat mir eine Vollzeitstelle angeboten«, erzählt sie Vater Louie. »Ich soll ihm helfen, Komparsen zu finden, dafür sorgen, dass alle rechtzeitig zum Bus kommen, der sie ins Studio bringt, und ich soll am Set dolmetschen.«
    Ich höre ihr überrascht zu. Für diese Arbeit wäre ich besser geeignet. Allein schon, weil ich fließend Sze Yup spreche - und das weiß sogar mein Schwiegervater.

    »Was ist mit deiner Schwester? Sie ist die Klügere. Sie sollte diese Arbeit tun.«
    »Ja, meine jie jie ist sehr klug…«
    Bevor May dazu kommt ihre Argumente aufzuzählen, schlägt Vater Louie einen anderen Kurs ein. »Warum möchtest du von der Familie getrennt sein? Willst du nicht bei deiner Schwester sein?«
    »Pearl macht das nichts aus«, antwortet May. »Ich habe ihr viel geschenkt, was sie sonst nie bekommen hätte.«
    Wenn May in letzter Zeit etwas haben will, erinnert sie mich immer daran, dass sie mir ein Kind geschenkt hat und wie viele Geheimnisse daran gebunden sind. Soll das eine Drohung sein? Wird sie dem Alten Herrn erzählen, dass Joy nicht mein Kind ist, wenn ich ihr nicht erlaube, bei Tom zu arbeiten? Ganz und gar nicht. Es ist ein typisches Beispiel dafür, dass May alles sehr gründlich durchdacht hat. Es ist ihre Art, mich daran zu erinnern, dass ich eine schöne Tochter, einen mich liebenden Ehemann und mit unserem Zimmer ein kleines Zuhause für uns drei habe, während sie nichts und niemanden hat. Sollte ich ihr nicht behilflich sein, etwas zu finden, was ihr das Leben erträglicher macht?
    »Im Gegensatz zu mir hat May bereits Erfahrung mit Leuten aus Haolaiwu «, erkläre ich meinem Schwiegervater. »Sie macht das bestimmt gut.«
    Also arbeitet May für Tom Gubbins, und ich nehme ihren Platz im Golden Pagoda ein. Ich wische Staub, vom einen Ende des Ladens zum anderen. Ich putze Böden und Fenster. Ich mache Vater Louie das Mittagessen, dann wasche ich sein Geschirr in einer Wanne und schütte das Schmutzwasser zur Tür hinaus, als wäre ich die Tochter eines Bauern. Und ich kümmere mich um Joy.
    Alle Frauen wünschen sich, eine bessere Mutter zu sein, und mir geht es nicht anders. Joy ist siebzehn Monate alt und trägt noch Windeln, die ich mit der Hand waschen muss. Nachmittags
schreit sie häufig, und ich muss stundenlang - so kommt es mir vor - mit ihr hin und her gehen, um sie zu beruhigen. Sie kann nichts dafür. Wegen der Drehzeiten schläft sie nachts nicht gut, und tagsüber macht sie kaum einmal ein Nickerchen. Am Set isst sie amerikanisches Essen, und spuckt die chinesische Kost, die ich für sie zubereite, wieder aus. Ich versuche sie auf dem Arm zu halten, sie zu liebkosen, alles zu tun, was eine Mutter tun soll, aber ein Teil von mir mag es immer noch nicht, jemanden zu berühren oder berührt zu werden. Ich liebe

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