Toechter Aus Shanghai
sie lacht, begrüßt Bekannte - sie erinnert mich an das Mädchen, das sie damals in Shanghai war. Doch je länger sich der Abend hinzieht, desto mehr Dinge sehe ich, die mir zu denken geben. Sicher, da verkauft ein Mann lebende Hühner, aber hinter ihm hocken mehrere Männer beim Glücksspiel. In einer anderen Ecke der Kulisse tun Männer so, als rauchten sie Opium - auf offener Straße! Fast alle Männer tragen Zöpfe, obwohl der Film weit nach der Ausrufung der Republik spielt; Hintergrund ist die Invasion der Zwergbanditen fünfundzwanzig Jahre später. Und die Frauen …
Ich muss an den Film Abrechnung in Shanghai denken, den May, Sam, Vern und ich uns vor ein paar Monaten im Million Dollar angesehen haben. Josef von Sternberg, der Regisseur, war in Shanghai gewesen, weshalb wir davon ausgingen, einen Film zu sehen, der uns an unsere Heimatstadt erinnerte, doch es war wieder nur einer dieser Streifen, in dem eine junge weiße Frau von einer gefährlichen Dragon Lady zu Glücksspiel, Alkohol und wer weiß was noch verführt wird. Wir lachten über die Filmplakate, auf denen stand: »Menschen leben aus vielen Gründen in Shanghai - meistens nicht aus guten.« Zum Ende meiner Zeit dort war das auch mein Gefühl, dennoch tat es mir weh, meine Heimatstadt - das Paris Asiens - in so schlechtem Licht dargestellt zu sehen. In einem Film nach dem anderen haben wir das erlebt, und jetzt spielen wir selbst in so einem mit.
»Wie kannst du das nur tun, May? Schämst du dich nicht?«, frage ich.
Sie schaut mich verwirrt und gekränkt an. »Warum?«
»Jeder einzelne Chinese in diesem Film wird als rückständig dargestellt«, erwidere ich. »Wir müssen kichern wie Idioten, sodass man unsere Zähne sieht. Wir müssen gestikulieren, weil wir dumm wirken sollen. Oder aber das allersimpelste Chopsuey-Englisch sprechen...«
»Kann schon sein, aber willst du damit sagen, dass dich das hier nicht an Shanghai erinnert?« Hoffnungsvoll schaut May mich an.
»Darum geht es doch gar nicht! Bist du denn nicht stolz auf das chinesische Volk?«
»Ich weiß nicht, warum du dich immer über alles beschweren musst«, gibt sie zurück. Ich kann ihre Enttäuschung spüren. »Ich habe dich mitgenommen, damit du siehst, was Joy und ich hier tun. Bist du nicht stolz auf uns?«
»May …«
»Warum kannst du nicht einfach Spaß haben?«, fragt sie. »Warum kannst du dich nicht darüber freuen, dass Joy und ich Geld
verdienen? Ich gebe zu, dass wir nicht so viel bekommen wie die Männer da drüben.« Sie zeigt auf eine Schar von Rikschafahrern. »Für die habe ich garantierte sieben fünfzig am Tag für eine Woche ausgehandelt, aber sie mussten sich dafür den Kopf kahl rasieren. Nicht schlecht...«
»Rikschafahrer, Opiumraucher und Prostituierte. Sollen die Leute uns so sehen?«
»Wenn du mit Leute die lo fan meinst, was interessiert mich deren Meinung?«
»Weil so etwas eine Beleidigung ist...«
»Für wen? Wir persönlich werden doch nicht verleumdet, du und ich. Außerdem ist das für uns nur Teil einer Entwicklung. Manche Menschen« - sie spielt wohl auf mich an - »sind lieber arbeitslos, als eine Arbeit anzunehmen, die vermeintlich unter ihrer Würde ist. Aber so ein Job ist erst mal ein Anfang, und von da an hat es jeder selbst in der Hand.«
»Also heute spielen diese Männer Rikschafahrer, und morgen gehört ihnen das ganze Studio?«, frage ich zweifelnd.
»Natürlich nicht«, gibt May verärgert zurück. »Die wollen alle nur eine Sprechrolle. Damit ist viel Geld zu verdienen, Pearl, das weißt du auch.«
Bak Wah Tom lockt May nun seit mehreren Jahren mit der Aussicht auf eine Sprechrolle, aber es ist immer noch nicht dazu gekommen, während Joy bereits in mehreren Filmen einige Sätze zu sagen hatte. Das Säckchen, in dem ich Joys Einkünfte sammle, ist ziemlich dick geworden, dabei ist sie noch ein kleines Kind. In der Zwischenzeit träumt ihre Tante davon, selbst einmal zwanzig Dollar für eine Zeile zu verdienen, für welche auch immer. Mittlerweile würde sie sich mit so etwas Schlichtem wie »Ja, Ma’am« zufrieden geben.
»Wenn es einem so große Möglichkeiten eröffnet, die ganze Nacht herumzusitzen und eine billige Frau zu spielen«, bemerke ich spitz, »warum hast du dann noch keine Sprechrolle bekommen?«
»Das weißt du ganz genau! Das habe ich dir schon tausendmal erklärt! Tom sagt, ich bin zu schön. Immer wenn der Regisseur sich für mich entscheidet, stellt sich die weibliche Hauptdarstellerin quer.
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