Toechter Aus Shanghai
Jasminreis aus China. Wir nehmen Margarine, drücken gelbe Lebensmittelfarbe hinein, verkneten sie und pressen sie in Stangenformen, damit sie wie Butter aussieht, wenn wir sie für das Café in kleine Portionen schneiden. Sam holt die Eier auf dem Schwarzmarkt für fünf Dollar pro Packung. Wir sammeln unser Speckfett in einer Kaffeedose unter der Spüle und bringen es zur Abgabestelle, weil wir gehört haben, dass es für die Waffenproduktion
benötigt wird. Ich ärgere mich nicht mehr darüber, dass ich so viel Zeit damit vergeude, im Restaurant Erbsen zu palen und Knoblauch zu schälen, denn wir bedienen ja unsere Jungs in Uniform und tun alles für sie, was wir können. Und zu Hause essen wir mehr amerikanische Gerichte - Schweinefleisch mit Bohnen, Sandwiches mit gegrilltem Dosenfleisch, Käse und Zwiebelringen, Thunfischcreme und Aufläufe aus Fertigteigmischung -, damit wir mit unseren eigenen Zutaten länger auskommen.
Klick: eine Wohltätigkeitsveranstaltung zum chinesischen Neujahrsfest. Klick: Wohltätigkeitsveranstaltung zum Tag der Gründung der Republik China. Klick: China-Abend mit unseren beliebtesten Filmstars. Klick: der Reistopfumzug, wo die Frauen aus Chinatown eine riesige chinesische Flagge an den Enden festhalten und die Zuschauer auffordern, Münzen hineinzuwerfen. Klick: das Mondfest mit Anna May Wong und Keye Luke als Zeremonienmeistern. Barbara Stanwyck, Dick Powell, Judy Garland, Kay Kyser und Laurel und Hardy winken den Zuschauern zu. William Holden und Raymond Massey stehen herum und geben sich lässig, während die Mädchen vom Mei Wah Drum Corps in der V-Formation für »Victory« marschieren. Mit dem gesammelten Geld werden medizinisches Versorgungsmaterial, Moskitonetze, Gasmasken und andere dringend notwendige Dinge für Flüchtlinge gekauft, außerdem Krankenwagen und Flugzeuge, die über den Pazifik geschickt werden.
Klick: die wöchentliche Veranstaltung »Chinatown Canteen« im YWCA. May posiert mit Soldaten, Matrosen und Fliegern, die während ihres kurzen Aufenthalts die Union Station verlassen, die Alameda Street überqueren und zur Canteen kommen. Die Jungs stammen aus dem ganzen Land. Viele von ihnen haben noch nie einen Chinesen gesehen und benutzen lustige Ausdrücke wie »Ei der Daus!« oder »Potzblitz!«, die wir von ihnen übernehmen. Klick: ich inmitten von Fliegern, die Chiang Kai-shek
zur Ausbildung nach Los Angeles geschickt hat. Es ist herrlich, ihre Stimmen zu hören, Nachrichten aus unserer Heimat zu erhalten und zu wissen, dass China nicht aufgibt. Klick, klick, klick: Bob Hope, Frances Langford und Jerry Colonna kommen zur Chinatown Canteen und geben eine Vorstellung. Mädchen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren - in weißen Kitteln, roten Blusen und Sattelschuhen mit roten Söckchen - melden sich freiwillig als Tischdamen, um Sandwiches auszuteilen, mit den Jungs Jitterbug zu tanzen und ihnen ein offenes Ohr zu leihen.
Mein Lieblingsfoto zeigt May und mich bei der Chinatown Canteen kurz vor Geschäftsschluss am Samstagabend. Wir tragen Gardenien im Haar, das uns in weichen Locken auf die Schultern fällt. Unser herzförmiger Ausschnitt lässt viel blasse Haut sehen, wirkt aber trotzdem mädchenhaft keusch. Unsere Kleider sind kurz, die Beine nackt. Wir sind zwar verheiratet, sehen aber trotzdem hübsch und fröhlich aus. May und ich wissen, was es heißt, im Krieg zu leben, und so schlimm ist es in Los Angeles nicht.
In den folgenden fünfzehn Monaten kommen viele Menschen in die Stadt: Soldaten, die in den Pazifikkrieg ziehen oder von dort zurückkehren, Ehefrauen und Kinder, die Männer und Väter in Militärkrankenhäusern besuchen, Diplomaten, Schauspieler und Verkäufer jeder Art, die ihre Geschäfte mit dem Krieg machen. Nicht im Traum fällt mir ein, dass mich jemand von früher her kennen könnte, doch eines Tages ruft eine Männerstimme im Café meinen Namen.
»Pearl Chin? Sind Sie das?«
Ich starre den Mann an der Theke an. Ich weiß, wer er ist, aber meine Augen wollen ihn nicht erkennen, weil ich mich in Grund und Boden schäme.
»Sind Sie nicht die Pearl Chin, die früher in Shanghai lebte? Sie waren mit meiner Tochter Betsy befreundet.«
Ich stelle den Teller mit chow mein ab, wende mich zur Seite,
wische mir die Hände sauber. Wenn dieser Mann wirklich Betsys Vater ist - und das ist er -, dann ist er der erste und einzige Mensch aus meiner Vergangenheit, der sieht, wie tief ich gefallen bin. Ich war einmal ein
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