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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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verloren haben.
     
    »Wer nicht kämpfen kann, muss produzieren«, erklärt uns Onkel Charley eines Tages. »Kennt ihr die Jungs von den Lees? Sie arbeiten bei Lockheed und bauen Flugzeuge. Sie meinen, da gäbe es auch eine Stelle für mich, und wenigstens machen die da kein Chopsuey. Die Lees sagen, jeder Hammerschlag beim Flugzeugbau sei ein Schlag der Freiheit für das Land unserer Väter und für unsere neue Heimat.«
    »Aber dein Englisch...«
    »Mein Englisch ist denen egal, solange ich hart arbeite«, sagt er. »Weißt du, Pearl, du könntest dort auch Arbeit bekommen. Die Lee-Jungs haben ihre Schwestern ebenfalls bei Lockheed untergebracht. Esther und Bernice setzen jetzt Nieten in die Türen von Bombern ein. Willst du wissen, wie viel Geld sie verdienen? Tagsüber sechzig Cent die Stunde und fünfundsechzig Cent pro Stunde in der Nachtschicht. Willst du wissen, wie viel ich verdienen werde?« Er reibt sich die geschwollenen Augen, die wegen
seiner Allergien heute besonders stark zu brennen scheinen. »Fünfundachtzig Cent die Stunde. Das sind vierunddreißig Dollar in der Woche. Das ist ein guter Lohn, Pearl-ah, das sag ich dir.«
    Auf meinem Foto sitzt Onkel Charley mit hochgekrempelten Armen an der Theke, vor ihm ein Stück Kuchen, auf einem leeren Hocker hat er Schürze und Papiermütze abgelegt.
     
    »Was kann mein Junge schon für den Krieg tun?«, fragt mein Schwiegervater, als Vern seinen Einberufungsbefehl erhält. Im vergangenen Juni hat er den Abschluss an der High School gemacht, wo man ihn nicht wollte und sich nicht um seine Ausbildung kümmerte. »Zu Hause ist er besser dran. Sam, geh mit ihm und sorg dafür, dass die das verstehen.«
    »Ich nehme ihn mit«, sagt Sam, »aber ich werde mich selbst melden. Ich möchte auch ein rechtmäßiger Staatsbürger werden.«
    Vater Louie streitet nicht mit ihm darüber. Die Staatsbürgerschaft ist das eine, und die Befragung ist für viele Menschen riskant, doch wir wissen alle, um was es in diesem Krieg geht. Ich bin stolz auf Sam, aber das heißt nicht, dass ich mir keine Sorgen mache. Als Sam und Vern zurückkommen, weiß ich sofort, dass es nicht gut gelaufen ist. Vern wurde aus offensichtlichen Gründen abgelehnt, doch überraschenderweise wurde Sam als untauglich eingestuft.
    »Plattfüße, und trotzdem habe ich eine Rikscha durch die Straßen und Gassen von Shanghai gezogen«, beschwert er sich bei mir, als wir allein in unserem Zimmer sind. Wieder einmal wird er als Mann herabgesetzt und ignoriert. Auf so viele Arten muss er weiterhin Bitternis schlucken.
    Nicht lange darauf nimmt May den Fotoapparat und macht ein Bild. Darauf sieht man, wie viel sich in der Wohnung geändert hat, seit May, Joy und ich hergekommen sind. An den Fenstern sind Bambusjalousinen angebracht, die wir herunterlassen
können, wenn wir für uns sein wollen. Über dem Sofa hängen vier Kalender, für jede Jahreszeit einer. Wir haben sie im Laufe von vier Jahren vom Wong On Lung Markt bekommen. Der Alte Herr Louie sitzt auf einem Stuhl und schaut zufrieden und feierlich drein. Sam blickt aus dem Fenster. Er steht aufrecht, wird von seinem eisernen Fächer gestützt, macht jedoch ein Gesicht, als habe man ihm einen Schlag versetzt. Vern - zufrieden im Schoß der Familie - hat sich auf dem Sofa ausgestreckt und hält ein Modellflugzeug in der Hand. Ich sitze auf dem Boden und male ein Schild, das für den Verkauf von Kriegsanleihen in China City und New Chinatown wirbt. Joy ist in meiner Nähe, bastelt einen Ball aus Gummibändern. Yen-yen zerknüllt gebrauchte Alufolie zu festen Klumpen. Später wollen wir das alles bei der Sammelstelle in der Belmont High School abgeben.
    Mir zeigt dieses Foto, welche großen und kleinen Opfer wir bringen. Endlich könnten wir uns eine Waschmaschine leisten, doch wir kaufen keine, weil Metall so knapp ist. Wir unterstützen den Boykott japanischer Seidenstrümpfe und tragen stattdessen Baumwollstrümpfe, ganz nach dem Motto: »Will die Frau modern sein, trägt sie Wolle am Bein«, und tatsächlich schlie ßen sich Frauen in der ganzen Stadt der Anti-Seiden-Kampagne an. Alle leiden unter der Verknappung von Kaffee, Rindfleisch, Zucker, Mehl und Milch, doch im Café und in den chinesischen Restaurants in der ganzen Stadt ist die Not noch größer, weil Zutaten wie Reis, Ingwer, chinesische Morcheln und Sojasauce nicht mehr über den Pazifik kommen. Wir ersetzen Wasserkastanien durch Apfelscheiben. Wir kaufen Reis aus Texas statt duftenden

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