Toechter Aus Shanghai
Kalendermädchen, dessen Gesicht die Wände von Shanghai schmückte. Ich war klug und schlau genug, um Zugang zum Haus dieses Mannes zu erhalten. Ich machte aus seiner Tochter, einem nachlässig gekleideten Trampel, eine halbwegs modische junge Dame. Jetzt bin ich die Mutter einer Fünfjährigen, die Frau eines Rikschafahrers und Kellnerin in einem Café inmitten des Touristenviertels. Ich setze ein Lächeln auf und drehe mich zu ihm um.
»Mr. Howell, welche Freude, Sie wiederzusehen!«
Doch er macht keinen sehr glücklichen Eindruck; er sieht alt und traurig aus. Zuerst will ich seine Stimmung auf meine Demütigung beziehen, doch dann erfahre ich, dass sein Kummer andere Gründe hat.
»Wir haben nach Ihnen gesucht.« Er greift über die Theke nach meinem Arm. »Wir dachten, Sie wären bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen, und jetzt sind Sie hier!«
»Und Betsy?«
»Sie ist in einem japanischen Internierungslager draußen bei der Lunghua-Pagode.«
Ein Bild von Z. G. und May, mit denen ich dort Drachen steigen ließ, blitzt in meinem Kopf auf. Ich erwidere: »Ich dachte, die meisten Amerikaner hätten Shanghai verlassen, bevor...«
»Sie hat geheiratet«, sagt Mr. Howell traurig. »Wussten Sie das nicht? Sie hat einen jungen Mann geheiratet, der für Standard Oil arbeitet. Die beiden blieben in Shanghai, nachdem Mrs. Howell und ich ausgereist waren. Die Ölindustrie, Sie wissen ja, wie das ist.«
Ich gehe um den Tresen herum und setze mich neben Mr. Howell auf einen Hocker. Mir sind die neugierigen Blicke von Sam, Onkel Wilburt und den anderen Mitarbeitern im Café bewusst. Wenn sie doch nur aufhören würden, uns so anzustarren -
sie halten Maulaffen feil wie Bettler auf der Straße -, aber Betsys Vater bemerkt es nicht. Ich würde gerne behaupten, kaum Schmach zu empfinden, doch zu meiner Schande muss ich gestehen, dass dieses Gefühl direkt unter meiner Haut liegt. Ich bin jetzt seit fast fünf Jahren in diesem Land und immer noch nicht in der Lage, meine Situation voll und ganz zu akzeptieren. Es ist, als ob dieses Gesicht aus der Vergangenheit alles Gute in meinem Leben zunichte macht.
Betsys Vater ist wahrscheinlich immer noch im Außenministerium beschäftigt, vielleicht bemerkt er also mein Unbehagen. Schließlich bricht er das Schweigen. »Wir hörten von Betsy, als Shanghai zur Einsamen Insel wurde. Wir dachten, sie wäre in Sicherheit, da sie sich auf britischem Territorium befand. Doch nach dem 8. Dezember konnten wir nichts mehr tun, um sie zurückzuholen. Die diplomatischen Kanäle funktionieren nicht mehr so gut.« Er blickt in seine Kaffeetasse und lächelt wehmütig.
»Sie ist stark«, sage ich, um Mr. Howell aufzumuntern. »Betsy war schon immer klug und mutig.« Stimmt das überhaupt? Ich weiß noch, dass sie sich leidenschaftlich für Politik interessierte, während May und ich einfach nur ein neues Glas Champagner haben oder eine Runde über die Tanzfläche drehen wollten.
»Das sagen Mrs. Howell und ich uns auch.«
»Man kann nur das Beste hoffen.«
Er schnaubt wissend. »Das ist typisch für Sie, Pearl. Immer das Gute sehen. Deshalb sind Sie in Shanghai so gut zurechtgekommen. Deshalb kamen Sie raus, bevor die schlimmen Dinge passierten. Alle klugen Leute haben es rechtzeitig geschafft.«
Als ich nichts erwidere, sieht er mich an. Nach einer langen Pause sagt er: »Ich bin hier wegen des Besuchs von Madame Chiang Kai-shek. Ich habe sie auf ihrer Amerikareise begleitet. Letzte Woche waren wir in Washington, wo sie Geld vom Kongress erbat, um China in seinem Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu helfen, und die Zuhörer daran erinnerte, dass China und die Vereinigten Staaten keine wahren Verbündeten sein könnten,
solange das Gesetz zum Ausschluss von Chinesen noch gültig sei. Diese Woche wird sie in der Hollywood Bowl sprechen und...«
»An einem Umzug hier in Chinatown teilnehmen.«
»Hört sich an, als wüssten Sie Bescheid.«
»Ich will auch in die Bowl«, sage ich. »Wir gehen alle hin und freuen uns schon darauf, sie zu sehen.«
Als Mr. Howell das Wort »wir« hört, scheint er zum ersten Mal die Umgebung wahrzunehmen. Ich merke, wie sein freudloser Blick an einem Mädchen aus seiner Erinnerung vorbeigeht, das vielleicht nie existiert hat. Er registriert die Fettflecken auf meiner Kleidung, die Fältchen um meine Augen und meine rissigen Hände. Als er die dürftigen Räumlichkeiten, die kackgelb gestrichenen Wände, den verstaubten Ventilator über uns und die
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