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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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bereite ich Joy auf die Vorschule vor. Sie möchte mit Hazel Yee und den anderen Nachbarskindern zur Castelar School in Chinatown gehen. Aber Sam und ich wollen nicht, dass sie eine Schule besucht, die Vern immer wieder versetzte, ohne dass er Lesen, Schreiben oder Rechnen lernte. Wir möchten, dass sie einen Schritt weiter nach oben macht. Wir möchten, dass sie eine Schule außerhalb von Chinatown besucht, doch das bedeutet, dass Joy verschweigen muss, wo sie lebt. Außerdem müssen wir ihr die offizielle Familiengeschichte beibringen. Vater Louies Lügen über seinen Aufenthaltsstatus wurden an Sam, die Onkel und mich weitergegeben. Jetzt gehen sie in die dritte Generation. Joy wird immer vorsichtig sein müssen, wenn sie sich in einer Schule oder für eine Stelle bewirbt, selbst wenn sie eine Heiratsurkunde beantragt. Das fängt jetzt alles an. Wochenlang üben wir mit ihr, so als müsse sie sich auf Angel Island bewähren: Wo wohnst du? Wie heißt die Querstraße? Wo wurde dein Vater geboren? Warum kehrte er als Kind nach China zurück? Welchen Beruf hat dein Vater? Wir verraten ihr nicht, was richtig oder falsch ist. Es ist besser, wenn sie nur die falsche Wahrheit kennt.
    »Alle kleinen Mädchen müssen das von ihren Eltern wissen«, erkläre ich Joy, als ich sie am Abend vor Schulbeginn ins Bett bringe. »Erzähl deinem Lehrer nur das, was wir dir gesagt haben.«
    Am nächsten Tag zieht Joy ein grünes Kleid, eine weiße Strickjacke und eine rosa Strumpfhose an. Sam macht ein Foto von Joy und mir draußen auf den Stufen vor unserem Haus. Joy hat von uns eine neue Brotdose mit einem lachenden, winkenden Cowgirl auf seinem treuen Pferd bekommen. Voll Mutterliebe betrachte ich meine Tochter. Ich bin stolz auf Joy, stolz auf uns alle, es so weit gebracht zu haben.
    Sam und ich fahren mit Joy in der Straßenbahn zur Grundschule. Wir füllen die Formulare aus und lügen auf die Frage, in welchem Viertel wir wohnen. Dann bringen wir Joy zu ihrem Klassenzimmer. Sam hält Joys Hand der Lehrerin hin, Miss
Henderson, die sie nur anstarrt und sagt: »Warum geht ihr Ausländer nicht einfach wieder nach Hause?«
    Einfach so! Das ist doch nicht zu glauben! Ich muss antworten, bevor Sam versteht, was sie gesagt hat. »Weil das hier ihre Heimat ist«, erwidere ich und ahme dabei die britischen Mütter nach, die früher mit ihren Kindern über den Bund gingen. »Sie wurde hier geboren.«
    Wir lassen unsere Tochter bei dieser Frau zurück. Auf der Rückfahrt mit der Straßenbahn nach China City bringt Sam kein einziges Wort heraus, doch als wir beim Café ankommen, zieht er mich an sich und sagt mit einer vor Gefühl rauen Stimme: »Wenn sie ihr etwas antun, werde ich ihnen das nie verzeihen - und mir auch nicht.«
    Eine Woche später hole ich Joy von der Schule ab und finde sie weinend am Bordstein. »Miss Henderson hat mich in das Büro der Konrektorin geschickt«, sagt sie, und Tränen laufen ihr übers Gesicht. »Sie hat mir viele Fragen gestellt. Ich habe genau das gesagt, was ihr mir beigebracht habt, aber sie hat gesagt, ich würde lügen und könnte nicht mehr herkommen.«
    Ich gehe mit ihr zur Konrektorin, doch was kann ich tun oder sagen, um ihre Meinung zu ändern?
    »Wir halten unsere Augen nach solchen Verstößen offen, Mrs. Louie«, dröhnt die schwere Frau. »Außerdem gehört Ihre Tochter nicht hierher. Das sieht doch jeder. Bringen Sie sie zur Schule in Chinatown. Dort wird sie glücklicher sein.«
    Am nächsten Tag begleite ich Joy die zwei Häuserblocks zur Castelar School, mitten im Herzen von Chinatown. Ich sehe Kinder aus China, Mexiko, Italien und anderen europäischen Ländern. Die Lehrerin, Miss Gordon, ergreift lächelnd Joys Hand, führt meine Tochter ins Klassenzimmer und schließt die Tür. In den folgenden Wochen und Monaten lernt Joy - die wir zu einem folgsamen Mädchen erzogen haben, das so wilde Dinge wie Fahrradfahren zu unterlassen hat und von unseren Nachbarn ausgeschimpft wird, wenn sie zu oft oder zu laut lacht - Himmelund-Hölle,
Ballspiele und Bockspringen. Joy freut sich darüber, zusammen mit ihrer besten Freundin in der Klasse zu sein, und Miss Gordon ist allem Anschein nach eine nette Person.
    Zu Hause tun wir unser Bestes. Für mich bedeutet das, mit Joy so viel wie möglich Englisch zu sprechen, weil sie Amerikanerin ist und in diesem Land ein Auskommen wird finden müssen. Wenn ihr Vater, ihre Großeltern oder Onkel sie in Sze Yup ansprechen, antwortet sie auf Englisch. Dadurch

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