Toechter Aus Shanghai
Chinatown zwischen der Los Angeles und der Alameda Street zu opfern, um Platz für eine Auffahrt zur Schnellstraße zu bauen. Alles, was von der ersten Chinatown übrig bleibt, ist die Häuserreihe zwischen der Los Angeles Street und der Sanchez Alley, wo wir wohnen. Die Leute kämpfen gegen den Plan, aber niemand hat große Hoffnung. Wir kennen alle die hier in Amerika so beliebte Redewendung, dass ein Chinese keine Aussichten hat: We don’t stand a Chinaman’s chance.
Unser Zuhause ist in Gefahr, doch darüber können wir uns keine Sorgen machen, solange wir gemeinsam daran arbeiten, die Geschäfte der Familie wiederzueröffnen. Während sich manche entscheiden, es erneut im Rest von China City zu versuchen, eröffnet Vater Louie ein neues Golden Lantern in New Chinatown
und bestückt es mit den billigsten Souvenirs von lokalen Großhändlern, die ihre Ware aus Hongkong und Taiwan beziehen. Joy muss dort nun mehr Zeit verbringen und an nichts ahnende Touristen Dinge verkaufen, die für sie »Schrott« sind. Dadurch hat ihr Großvater Zeit für ein Nickerchen. Im neuen Geschäft gibt es nicht viel zu tun, aber Joy passt erstklassig auf. Und wenn niemand im Laden ist - also meistens -, liest sie.
Sam und ich beschließen, mit einem Teil unserer Ersparnisse ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Er sucht einen neuen Standort für ein Café und findet ihn auf der Ord Street, nur einen halben Häuserblock westlich von China City, doch Onkel Wilburt wird nicht mit uns kommen. Er will das seit dem Kriegsende gesteigerte Interesse der lo fan an chinesischem Essen ausnutzen und seinen eigenen Chopsuey-Imbiss in Lakewood eröffnen. Wir sind traurig, nun noch den letzten Onkel zu verlieren, auch wenn das bedeutet, dass Sam endlich erster Koch sein wird.
Wir bereiten die große Eröffnung vor, wir renovieren, stellen die Speisekarte zusammen und machen uns Gedanken über Werbung. Hinter dem Café ist ein kleines Büro mit Glaswand, wo May ihr Geschäft führen wird. Sie lagert Requisiten und Kostüme in einem Lagerhaus drüben auf der Bernard Street, weil sie meint, nicht den ganzen Tag inmitten dieser Dinge sitzen zu müssen und dass es sowieso profitabler als der Kostümverleih sei, Jobs für sich und die anderen Komparsen zu besorgen. Sie ermutigt Sam, einen Kalender als Werbung für das Café drucken zu lassen, und besorgt einen ortsansässigen Fotografen, der die Aufnahmen machen soll. Zwar ist das Restaurant nach mir benannt, aber auf den Bildern sind May und Joy zu sehen, die vor dem Tresen neben der Kuchenvitrine stehen: ESSEN IN PEARL’S CAFÉ: HOCHWERTIGE CHINESISCHE UND AMERIKANISCHE SPEZIALITÄTEN.
Anfang Oktober 1949 eröffnet Pearl’s Café, Mao Tse-tung erklärt China zur Volksrepublik, und der Bambusvorhang fällt. Wir wissen nicht, wie durchlässig dieser Vorhang sein wird und
was das alles für unser Heimatland bedeutet, doch unsere Eröffnung ist erfolgreich. Der Kalender ist beliebt, genau wie unsere Speisekarte, auf der sich amerikanische und chinesisch-amerikanische Spezialitäten finden: Roastbeef, Apfelkuchen mit Vanilleeis und Kaffee, Schweinefleisch süß-sauer, Mandelkekse und Tee. Pearl’s Café ist sauber. Das Essen ist frisch und von gleichbleibender Qualität. Vor unserer Tür steht ständig eine lange Schlange.
Vater Louie unterstützt weiterhin sein Heimatdorf, überweist Geld nach Hongkong und beauftragt dann jemanden, es in die Volksrepublik China und dort in das Dorf Wah Hong zu bringen. Sam warnt ihn davor. »Vielleicht wird es von den Kommunisten beschlagnahmt. Das könnte schlimm für die Familie im Dorf ausgehen.«
Ich habe andere Ängste. »Vielleicht hält uns die amerikanische Regierung für Kommunisten. Die meisten Familien haben deshalb aufgehört, Geld zu schicken.«
Das stimmt. Viele Bewohner von Chinatowns im ganzen Land schicken kein Geld mehr nach Hause, weil sie Angst haben und ratlos sind. Die Briefe, die wir aus China erhalten, verwirren uns nur noch mehr.
»Wir sind glücklich mit der neuen Regierung«, schreibt ein Cousin zweiten Grades an meinen Schwiegervater. »Jetzt sind alle gleich. Der Grundbesitzer muss seinen Reichtum mit den Bauern teilen.«
Wenn sie so glücklich sind, fragen wir uns, warum versuchen dann so viele herauszukommen? Es sind Männer wie Onkel Charley, die mit ihren Ersparnissen nach China zurückkehrten. Hier in Amerika mussten sie leiden und wurden gedemütigt, weil sie angeblich minderwertig und der Staatsbürgerschaft unwürdig
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