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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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waren, doch sie ertrugen es, weil sie glaubten, dass großes Glück, Wohlstand und Ehre in dem Land ihrer Geburt auf sie warteten, nur um bei ihrer Rückkehr nach China ihr bitteres Schicksal erkennen zu müssen, denn dort wurden sie wie gefürchtete
Grundbesitzer, Kapitalisten und Kettenhunde des Imperialismus behandelt. Die Unglückseligen sterben auf den Feldern oder Dorfplätzen. Die Glücklichen fliehen nach Hongkong, wo sie gebrochen und mittellos sterben. Ein paar wenige Glückliche kommen heim nach Amerika. Onkel Charley ist einer von ihnen.
    »Haben die Roten dir alles weggenommen?«, fragt Vern von seinem Bett aus.
    »Das haben sie nicht geschafft«, erwidert Onkel Charley, reibt sich die geschwollenen Augen und kratzt an seinem Ekzem. »Als ich dort ankam, waren noch Chiang Kai-shek und die Nationalisten an der Macht. Sie forderten alle auf, ihr Gold und ihre Devisen gegen Staatsanleihen einzutauschen. Sie druckten Milliarden chinesischer yuan , aber das Geld war nichts wert. Für einen Sack Reis, der früher zwölf yuan kostete, musste man bald 63 Millionen yuan hinlegen. Die Leute gingen mit Schubkarren voll Geld einkaufen. Wenn man eine Briefmarke kaufen wollte, musste man dafür den Gegenwert von sechstausend US-Dollar hinblättern.«
    »Redest du schlecht über den Generalissimus?«, fragt Vern nervös. »Lass das besser sein.«
    »Ich sage nur, dass ich nichts mehr übrig hatte, als die kommunistischen Soldaten kamen.«
    So viele Jahre der Plackerei mit dem Ziel, als Mann vom goldenen Berg nach China zurückzukehren, und jetzt ist Onkel Charley wieder da, wo er angefangen hat - als Gläserspüler für die Familie Louie.
    Ich gewinne meine Kraft zurück und gehe mit Sam arbeiten, was in vielerlei Hinsicht herrlich ist. Ich bekomme meinen Mann zu sehen, und zusätzlich kann ich jeden Tag mit May zusammen sein, bis ich um fünf Uhr nach Hause gehe, um Essen zu kochen, und May in General Lee’s Restaurant oder ins Soochow aufbricht, mittlerweile in New Chinatown, um dort Besetzungschefs oder sonstige Filmleute zu treffen. Manchmal ist es schwer zu glauben, dass wir Schwestern sind. Ich hänge Erinnerungen an unser
Zuhause in Shanghai nach; May klammert sich an ihre Erinnerungen aus der Zeit, als sie ein Kalendermädchen war. Ich trage meine schmierige Schürze und eine kleine Papiermütze; May trägt wunderschöne Kleider aus Stoffen in Erdfarben - Siena, Amethyst, Blassgrün und Türkisblau.
    Ich schäme mich meines Aussehens, bis meine alte Freundin Betsy - die auf dem Weg nach Osten zu ihren Eltern ist, da Chinas Grenzen nun geschlossen sind - durch die Tür unseres Cafés tritt. Wir sind gleich alt, dreiunddreißig, doch sieht Betsy zwanzig Jahre älter aus. Sie ist dünn, fast schon mager, ihr Haar ist grau. Ich weiß nicht, ob es an ihrer Zeit im japanischen Internierungslager liegt oder an der Not der letzten Monate.
    »Unser Shanghai gibt es nicht mehr«, sagt sie, als ich mit ihr nach hinten in Mays Büro gehe, damit wir zu dritt eine Tasse Tee trinken können. »Es wird nie mehr so sein, wie es war. Shanghai war meine Heimat, aber ich werde es nie wiedersehen. Keiner von uns wird es wiedersehen.«
    Meine Schwester und ich tauschen Blicke aus. Wir hatten dunkle Stunden, als wir glaubten, dass wir wegen der Japaner nie nach Hause zurückkehren könnten. Nach Kriegsende wurden unsere Hoffnungen wiederbelebt, vielleicht doch eines Tages zu einem Besuch heimkehren zu können, aber jetzt fühlt es sich anders an. Es fühlt sich endgültig an.

ANGST
    Es ist fast Mittag am zweiten Samstag im November 1950. Ich habe nicht viel Zeit, weil ich Joy und ihre Freundin Hazel Yee bei der neuen Vereinten Chinesischen Methodistenkirche abholen muss, wo die beiden einen chinesischen Sprachkurs besuchen. Ich hole noch rasch die Post von unten und eile wieder hoch in die Wohnung. Schnell sehe ich die Rechnungen durch und ziehe zwei Briefe heraus. Der eine hat einen Poststempel aus Washington. Ich erkenne Betsys Handschrift auf dem Umschlag und stecke ihn in die Tasche. Der andere Brief kommt aus China und ist an Vater Louie adressiert. Ich lege ihn zu den Rechnungen auf den Tisch im Wohnzimmer, damit Vater ihn sieht, wenn er am Abend nach Hause kommt. Dann nehme ich mir Einkaufstasche und Wolljacke, gehe wieder nach unten, laufe zu Fuß zur Kirche und warte davor auf Joy und Hazel.
    Als Joy klein war, wollte ich, dass sie korrekt geschriebenes und gesprochenes Chinesisch lernt. Die einzige Möglichkeit, das zu

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