Toechter Aus Shanghai
nicht,
was die Voraussetzungen für einen nationalen Notstand sind, aber die Internierungslager für Japaner sind uns immer noch sehr präsent. Als die ortsansässigen Organisationen - vom Chinesischen Wohltätigkeitsverein bis zum Chinesischen Jugendclub - von der Regierung aufgefordert wurden, binnen vierundzwanzig Stunden ihre Mitgliederlisten einzureichen, gerieten viele unserer Nachbarn in Panik, weil ihr Name auf mindestens einer Liste der vierzig betroffenen Gruppen auftauchen würde. Dann erfuhren wir aus der chinesischen Zeitung, dass das FBI die Zentrale des Verbands der Chinesischen Wäschereigehilfen verwanzt und beschlossen hatte, alle Abonnenten der China Daily News zu überprüfen. Seitdem bin ich froh, dass Vater Louie die Chung Sai Yat Po bezieht, eine Zeitung, die die Kuomintang, die Christen und die Integration unterstützt, und dass er nur hin und wieder eine Ausgabe der China Daily kauft.
Ich weiß nicht, worüber der Metzger als Nächstes schimpfen wird, doch ich möchte nicht, dass die Mädchen es hören. Gerade will ich sie nach draußen schieben, da hat sich der Metzger so weit beruhigt, dass ich meine Bestellung aufgeben kann. Während er das char siu in rosarotes Papier schlägt, vertraut er mir in gemäßigterem Tonfall an: »Hier in Los Angeles ist es gar nicht so schlimm, Mrs. Louie. Aber ich hatte einen Cousin in San Francisco, der hat Selbstmord begangen, um nicht eingesperrt zu werden. Er hatte nichts getan. Ich habe von anderen gehört, die ins Gefängnis gesteckt wurden und jetzt auf ihre Abschiebung warten.«
»Solche Geschichten haben wir alle gehört«, sage ich. »Doch was sollen wir tun?«
Er reicht mir das Schweinefleisch. »Ich lebe schon so lange in Angst, ich habe es satt. Ich habe es ganz einfach satt. Und ich bin entmutigt …«
Als seine Stimme wieder an Kraft zunimmt, bugsiere ich die Mädchen aus dem Geschäft. Den Rest des kurzen Wegs zu Pearl’s Café sind sie still. Kaum sind wir dort, gehen wir drei direkt in
die Küche. May, die in ihrem Büro sitzt und telefoniert, winkt lächelnd zu uns herüber. Sam rührt den Teig für das Schweinefleisch süß-sauer an, das bei unseren Gästen so beliebt ist. Wieder fällt mir auf, dass er eine kleinere Schüssel benutzt als noch vor einem Jahr bei der Eröffnung. Durch den neuen Krieg bleibt ein Großteil unserer Gäste fort; einige Geschäfte in Chinatown mussten ganz schließen. Außerhalb von Chinatown herrscht so viel Angst vor China, dass viele chinesische Amerikaner ihre Arbeit verloren haben und keine neue finden.
Auch wenn wir nicht mehr so viele Gäste haben wie früher, geht es uns doch nicht so schlecht wie manch anderen. Zu Hause leben wir sparsam, strecken unsere Mahlzeiten, essen mehr Reis und weniger Fleisch. Außerdem hat May noch ihren Kostümverleih und die Agentur und tritt darüber hinaus gelegentlich in Filmen oder Fernsehsendungen auf. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Studios anfangen, Filme über die kommunistische Bedrohung zu drehen. Dann wird May sehr gut zu tun haben. Das Geld, das sie verdient, wandert in den Familientopf, der uns allen gehört.
Ich reiche Sam das char siu , dann stelle ich ein Tablett für die Mädchen zusammen und berücksichtige dabei chinesische wie westliche Vorstellungen von einem guten Imbiss: Erdnüsse, ein paar Orangenstücke, vier Mandelkekse und zwei Glas Vollmilch. Die Mädchen stapeln ihre Bücher auf den Arbeitstisch. Hazel setzt sich und faltet abwartend die Hände im Schoß, während Joy zum Radio geht, das zur Unterhaltung der Mitarbeiter in der Küche steht, und es einschaltet.
Ich gebe ihr ein Zeichen. »Kein Radio heute Nachmittag.«
»Aber, Mom...«
»Keine Diskussion! Ihr beiden müsst eure Hausaufgaben machen.«
»Warum denn nicht?«
Weil ich nicht will, dass ihr noch mehr schlechte Nachrichten hört, denke ich, sage es jedoch nicht. Ich lüge meine Tochter nur
ungerne an, aber in den letzten Monaten habe ich mir eine Ausrede nach der anderen einfallen lassen, warum sie kein Radio hören darf: Ich hätte Migräne, ihr Vater habe schlechte Laune. Ich habe es sogar mit einem strengen »Weil ich das sage« versucht, das auch funktionierte, doch das kann ich nicht jeden Tag machen. Da Hazel hier ist, lasse ich mir eine neue Antwort einfallen.
»Was würde Hazels Mutter wohl denken, wenn ich euch Radio hören lasse? Ihr sollt doch in allen Fächern gute Noten bekommen. Ich will Mrs. Yee nicht sagen müssen, dass ich nicht alles dafür getan
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