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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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bewegt sich sanft im Wind. Der Rasen ist ein vertrocknetes Rechteck, auf dem braune, verwelkte Ringelblumen aus dem Sommer liegen. Chrysanthemen, die offenbar nie gestutzt wurden, siechen dahin. Der endlose blaue Himmel über mir verspricht einen weiteren sonnigen Winter. Ich muss das Haus nicht einmal betreten, um zu wissen, dass ich das Richtige für uns gefunden habe.
    Inzwischen weiß ich, dass für jede schöne Sache, die passiert, auch etwas Schlimmes geschieht. Als wir packen, sagt Yen-yen, sie sei müde. Sie setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer und stirbt. Ein Herzinfarkt, sagt der Arzt, weil die Pflege von Vern sie zu stark in Anspruch genommen habe, doch wir wissen es besser. Sie starb an gebrochenem Herzen: Ihr Sohn fiel vor ihren Augen in sich zusammen, ihr Enkelsohn wurde tot geboren, der Großteil des Familienbesitzes, angehäuft über viele Jahre, wurde zu Asche, und jetzt noch der Umzug. Die Beerdigung ist klein. Schließlich war sie kein Mensch von Bedeutung, lediglich eine Ehefrau und Mutter. Die Trauernden verbeugen sich dreimal vor dem Sarg. Dann gibt es ein Essen mit zehn Zehnertischen im Restaurant Soochow, wo die entsprechenden schwach gewürzten Gerichte aufgetragen werden.
    Yen-yens Tod ist furchtbar für uns alle. Ich kann nicht aufhören zu weinen, Vater Louie zieht sich in klägliches Schweigen zurück. Keiner von uns hat jedoch die Zeit, so zu trauern, wie es bei Chinesen üblich ist: still, zurückgezogen und beim Dominospiel mit Freunden, denn nur eine Woche später ziehen wir in das neue Haus. May erklärt, dass sie nicht mit Vern in einem Bett schlafen könne, und alle sehen das ein. Niemand - wie liebend und treu er auch ist - möchte neben einem Menschen liegen, der nachts von Schweißausbrüchen geplagt wird und einen schwärenden Abszess am Rücken hat, der nach Eiter, Blut und Verwesung riecht, so wie Mamas gebundene Füße damals. Auf der Veranda werden zwei Betten aufgestellt - eins für meine Schwester,
eins für meine Tochter. Diese Möglichkeit hatte ich nicht in Betracht gezogen, sie beunruhigt mich, aber ich kann es nicht verhindern. May bewahrt ihre Kleider in Verns Schrank auf. Seide, Satin und Brokat drücken in Regenbogenfarben durch die Türen, die dazu passenden Täschchen quellen vom oberen Regal, und überall auf dem Boden liegen ihre bunten Schuhe herum; Joy werden die unteren zwei Schubladen im Wäscheschrank im Flur neben der Tür zum Badezimmer zugewiesen, das sie sich mit Vater Louie und May teilt und wo Verns Bedürfnisse erledigt werden.
    Jetzt müssen wir alle auf irgendeine Weise der Familie helfen. Mir fällt ein Spruch von Mao ein, über den sich die amerikanische Presse lustig gemacht hat: »Hat jeder Arbeit, hat jeder Essen.« Alle bekommen eine Aufgabe: May vermittelt weiterhin Komparsen für Filme und die neuen Fernsehsendungen, Sam leitet Pearl’s Café, Vater Louie hat das Souvenirgeschäft, Joy strengt sich in der Schule an und hilft ihrer Familie in der Freizeit. Yen-yen sollte eigentlich ihren kranken Sohn pflegen, und diese Aufgabe kommt jetzt mir zu. Ich mag Vern durchaus gern, aber ich möchte keine Krankenschwester sein. Wenn ich sein Zimmer betrete, schlägt mir der warme Geruch kranken Fleisches entgegen. Wenn er sitzt, sackt seine Wirbelsäule zusammen, bis er daliegt wie ein Säugling. Er fühlt sich weich und schwer an, wie eingeschlafene Füße. Einen Tag lang halte ich es aus, dann gehe ich zu meinem Schwiegervater, um ihn von seiner Entscheidung abzubringen.
    »Wenn du deiner Familie nicht helfen willst, benimmst du dich wie eine Amerikanerin«, sagt er.
    »Ich lebe ja auch in Amerika«, erwidere ich. »Ich habe meinen Schwager sehr gerne. Das weißt du. Aber er ist nicht mein Mann. Er ist Mays Mann.«
    »Aber du hast ein Herz in dir, Pearl-ah.« Seine Stimme versagt, als ihn seine Gefühle überwältigen. »Du bist die Einzige, der ich meinen Jungen anvertrauen kann.«

    Ich rede mir ein, dass das Schicksal unausweichlich und der Tod das einzig sichere Los ist, dennoch frage ich mich, warum es immer so tragisch sein muss. Wir Chinesen glauben, dass man sein Schicksal auf vielerlei Weise beeinflussen kann: Amulette auf die Kleidung unserer Kinder nähen, feng shui -Meister um Hilfe bitten, wenn günstige Termine festgelegt werden müssen, auf die Astrologie vertrauen, um zu erfahren, ob man besser eine Ratte, einen Hahn oder ein Pferd heiratet. Doch wo bleibt mein Lohn - das Gute, das in Gestalt des Glücks zu jedem kommt? Ich bin

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