Toechter Aus Shanghai
um jemanden anzustellen, der diesen »Schrott« verkauft, wie Du ihn immer genannt hast. Pearl’s Café läuft gut, Dein Dad hat viel zu tun. Onkel Vern möchte mehr über Joe wissen.
Natürlich hat Vern keinen Ton über Joe gesagt, aber wir anderen sind ganz kribbelig vor Neugier.
Und Du kennst ja deine Tante - immer am Arbeiten. Was gibt es sonst noch? Ach, Du weißt ja, was hier so los ist. Alle haben Angst davor, als Kommunist denunziert zu werden. Hat man Ärger im Geschäft oder im Privatleben, ist die Sache schnell erledigt, wenn man den anderen beschuldigt, ein Kommunist zu sein. »Hast du schon gehört, dass der und der ein Roter ist?« Du weißt, wie das geht, wie die Leute tratschen, den Wind jagen und Schatten fangen. Jemand anders verkauft mehr Souvenirs - er muss ein Kommunist sein. Sie verschmäht meine Zuneigung - sie muss eine Kommunistin sein. Zum Glück hat Dein Vater keine Feinde, und es wirbt niemand um Deine Tante.
Auf diese umständliche Weise, quasi von hinten herum, versuche ich, Joy mehr über diesen Joe zu entlocken. Aber wenn ich Joys Mutter bin, so ist sie auch ganz gewiss meine Tochter. Sie durchschaut mich auf der Stelle. Wie immer warte ich, bis alle zu Hause sind und wir uns um Verns Bett versammelt haben, bis ich Joys Brief vorlese.
»Du würdest Joe mögen«, schreibt sie.
Er ist angehender Mediziner. Sonntags begleitet er mich zur Kirche. Du möchtest, dass ich bete, aber in meiner christlichen Vereinigung tut man das nicht. Du denkst, dass wir bei unseren Treffen nur über Jesus reden, aber wir sprechen nicht über ihn. Wir reden über die Ungerechtigkeiten, die Leute wie Du und Dad, Großmutter und Großvater ertragen mussten. Wir sprechen darüber, was in der Vergangenheit mit den Chinesen geschah und was den Schwarzen noch heute angetan wird. Gerade letztes Wochenende haben wir vor dem Gebäude von Montgomery Ward demonstriert, weil dort keine Schwarzen beschäftigt werden. Joe sagt, dass Minderheiten zusammenhalten müssen. Joe und ich haben Unterschriften dafür gesammelt. Es ist schön, zur Abwechslung mal an die Probleme anderer Menschen zu denken.
Als ich den Brief zu Ende gelesen habe, fragt Sam: »Meint ihr, dieser Joe spricht Sze Yup? Ich möchte nicht, dass sie jemand mit einem anderen Dialekt heiratet.«
»Wer sagt denn, dass er Chinese ist?«, wirft May ein.
Da beginnen wir zu gackern wie die Hühner.
»Das ist eine chinesische Organisation«, sagt Sam. »Er muss Chinese sein.«
»Und sie gehen zusammen zur Kirche«, füge ich hinzu.
»Ja, und? Du hast sie immer ermutigt, außerhalb von Chinatown zur Kirche zu gehen, damit sie auch andere Menschen kennenlernt«, sagt May, und drei vorwurfsvolle Augenpaare funkeln mich böse an.
»Er heißt Joe«, sage ich. »Das ist ein guter Name. Er klingt chinesisch.«
Während ich den Namen in Joys gleichmäßiger Handschrift betrachte und zu entscheiden versuche, was genau dieser Joe nun ist, zählt meine Schwester - für immer ein kleiner Teufelsbraten - andere Joes auf. »Joe DiMaggio, Josef Stalin, Joseph McCarthy …«
»Schreib ihr«, unterbricht Vern sie. »Sag ihr, dass die Roten keine guten Freunde sind. Sie wird Ärger bekommen.«
Doch das schreibe ich nicht. Was ich schreibe, ist alles andere als subtil: »Wie heißt Joe mit Nachnamen?«
Mitte Mai erhalte ich Joys Antwort.
Oh, Mom, Du bist so komisch. Ich kann mir genau vorstellen, wie Du mit Dad, Tante May und Onkel Vern zusammensitzt und Ihr euch Gedanken macht. Joes Nachname ist Kwok, okay? Manchmal malen wir uns aus, nach China zu gehen, um dem Land zu helfen. Joe sagt, wir Chinesen hätten ein Sprichwort: Tausend und abertausend Jahre für China. Chinese zu sein und das auf den Schultern und im Herzen zu tragen kann eine schwere Last sein, aber auch ein Grund für Stolz und Freude. Joe sagt: »Sollten wir nicht Teil von dem sein, was in unserer Heimat geschieht?« Er hat mir sogar einen Reisepass besorgt.
Ich machte mir Sorgen, als Joy uns verließ. Ich machte mir Sorgen, als sie Heimweh bekam. Ich machte mir Sorgen, als sie sich mit einem Jungen traf, weil ich nicht wusste, wer oder was er war. Aber das hier ist etwas anderes. Das ist jetzt wirklich beängstigend.
»China ist nicht ihr Heimatland«, murmelt Sam.
»Er ist ein Roter«, sagt Vern, der allerdings jeden für einen Kommunisten hält.
»Das ist die Liebe«, sagt May leichthin, doch ich höre die Sorge in ihrer Stimme. »Mädchen sagen und tun dumme Dinge, wenn sie verliebt
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