Toechter Aus Shanghai
in der Französischen Konzession.
Sobald wir bei Z. G. angekommen sind, haste ich die Treppe hinauf und hämmere gegen die Tür. Er öffnet mir in einem ärmellosen Unterhemd und einer weiten Khakihose, die von einer durch die Gürtelschlaufen gezogenen Krawatte gehalten wird. Im Mundwinkel steckt eine Zigarette. Ich falle ihm in die Arme. All die Tränen und die Frustration, die ich bisher zurückgehalten habe, brechen hervor. Ich erzähle ihm alles: dass meine Familie bankrott ist, dass May und ich Auslandschinesen heiraten müssen und dass ich ihn liebe.
Auf der Fahrt hierher habe ich mir überlegt, wie er reagieren könnte. Ich stellte mir vor, er würde vielleicht so etwas sagen wie: »Ich glaube nicht an die Ehe, aber ich liebe dich und ich will,
dass du hier bei mir lebst.« Ich malte mir aus, er könnte sich heroisch geben: »Wir werden heiraten. Alles wird gut.« Ich dachte, er würde nach May fragen und sie einladen, bei uns zu wohnen. »Ich liebe sie wie eine Schwester«, würde er sagen. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass er wütend losstürmen würde, um Baba zu suchen und ihm die Tracht Prügel zu verpassen, die er verdient. Doch in Wirklichkeit sagt Z. G. etwas, mit dem ich niemals gerechnet hätte.
»Du solltest diesen Mann heiraten. Es hört sich doch nach einer guten Partie an, und du hast deinem Vater gegenüber deine Pflicht zu erfüllen. Als Mädchen gehorche deinem Vater, als Ehefrau deinem Ehemann, als Witwe deinem Sohn. Wir alle wissen, dass sich das so gehört.«
»Das sehe ich überhaupt nicht ein! Und ich habe gedacht, du wärst auf meiner Seite. So denkt meine Mutter, aber doch nicht du!« Ich bin nicht nur gekränkt, sondern vor allem wütend. »Wie kannst du das bloß sagen?«, fauche ich ihn an. »Wir lieben uns. Solche Sachen sagt man nicht zu der Frau, die man liebt.«
Er antwortet nicht, aber man sieht ihm an, wie verdrießlich und ärgerlich es ihn macht, sich mit einer so kindischen Person wie mir abgeben zu müssen.
Weil ich verletzt bin, zornig und zu jung, um es besser zu wissen, laufe ich davon. Ich lege einen großen Auftritt hin, stapfe die Treppe hinunter, heule und blamiere mich vor Z. G.s Vermieterin, gebe mich genauso verwöhnt wie meine Schwester. Es ist lächerlich, aber viele Frauen - und auch Männer - handeln so vorschnell wie ich. Ich glaube... Ich weiß nicht, was ich glaube... Dass er mir über die Treppe nacheilen wird. Dass er mich stürmisch in die Arme schließen wird wie im Film. Dass er mich heute Nacht aus dem Haus meiner Eltern entführen wird und wir gemeinsam durchbrennen. Selbst wenn es zum Schlimmsten kommen sollte, werde ich eben Sam heiraten und eine lebenslange Affäre mit dem Mann haben, den ich liebe, wie es derzeit so viele Frauen in Shanghai tun. So unglücklich ist dieses Ende nun auch wieder nicht.
Als ich meiner Schwester erzähle, wie es mir mit Z. G. ergangen ist, wird sie ganz blass vor Mitleid.
»Ich wusste gar nicht, dass du solche Gefühle für ihn hegst.« Sie tröstet mich ganz leise. Ich kann sie kaum hören.
Sie hält mich in den Armen, während ich weine. Selbst als meine Tränen versiegen, spüre ich tief in ihrem Inneren ein mitfühlendes Zittern. Wir könnten uns nicht näher sein. Was auch immer geschieht, wir werden es gemeinsam überstehen.
Ich habe so lange von meiner Hochzeit mit Z. G. geträumt, doch die Hochzeit mit Sam wird ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Keine Chantillyspitze, kein acht Meter langer Schleier, kein duftender Blumenregen für die westliche Zeremonie. Zum chinesischen Festmahl tragen May und ich keine bestickten roten Gewänder und keinen Phoenix-Kopfputz, der beim Gehen erzittert. Es gibt kein großes Familientreffen, weder Klatsch noch Witzeleien, keine kleinen Kinder rennen lachend und kreischend herum. Um zwei Uhr mittags gehen wir zum Gericht, wo wir uns mit Sam, Vern und ihrem Vater treffen. Der Alte Herr Louie sieht noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe: drahtig und ernst. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen beobachtet er, wie die beiden Paare die Papiere unterschreiben: Eheschließung am 24. Juli 1937. Zu viert gehen wir in das amerikanische Konsulat und füllen die Anträge auf Einwanderungsvisa für Ehepartner aus. May und ich kreuzen an, dass wir nie in einem Gefängnis, einem Armenhaus oder einer Irrenanstalt waren, dass wir keine Alkoholiker, Anarchisten, professionelle Bettler, Prostituierte sind, dass wir weder schwachsinnig, geistig
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