Toechter Aus Shanghai
schlichten
Bambusflößen um ihr Wegerecht. Schwitzende Kulis, bis zur Hüfte nackt, drängen sich auf den Kais und entladen Opium und Tabak aus den Handelsschiffen, Reis und Getreide aus Dschunken, die flussabwärts gekommen sind, und Sojasauce, Körbe voller Hühner und dicke Rollen Rattanmatten aus kiellosen Flussbooten.
Rechts von uns erheben sich prächtige fünf- und sechsstöckige Gebäude - ausländische Paläste des Wohlstands, der Gier und des Geizes. Wir rollen am Cathay Hotel mit dem pyramidenförmigen Dach und dem Zollamt mit seinem großen Glockenturm vorbei, an der Hongkong and Shanghai Bank mit ihren majestätischen Bronzelöwen, die die Passanten anlocken, damit sie ihnen die Pfoten reiben, um Männern Glück und Frauen Söhne zu bescheren. An der Grenze zur Französischen Konzession zahlen wir den Rikschafahrer und gehen zu Fuß weiter über den Quai de France, wie die Straße dann heißt. Nach ein paar Blocks wenden wir uns vom Fluss ab und betreten die chinesische Altstadt.
Der Weg hierher ist scheußlich und wenig glückverheißend, als würde man in die Vergangenheit zurückkehren. Genau das verlangt Baba mit dieser Heirat von uns. May und ich sind trotzdem gekommen, gehorsam wie Hunde, dumm wie Wasserbüffel. Ich halte mir ein nach Lavendel duftendes Taschentuch vor die Nase, damit ich nicht die Mischung aus Tod, Abwasser, ranzigem Öl und feilgebotenem rohem Fleisch, das in der Hitze verdirbt, riechen muss.
Normalerweise ignoriere ich die hässlichen Seiten meiner Heimatstadt, doch heute wird mein Blick ständig darauf gelenkt. Ich sehe Bettler, denen von ihren Eltern die Augen ausgestochen und Arme und Beine zu Stümpfen versengt wurden, damit sie mehr Mitleid erregen. Manche haben schwärende Wunden und abscheuliche Geschwulste, die mit Fahrradpumpen zu ekelerregender Größe aufgeblasen wurden. Wir schlängeln uns durch Gassen, in denen Bandagen für gebundene Füße, Windeln und ausgefranste Hosen zum Trocknen hängen. In der chinesischen
Altstadt sind die Frauen zu faul, ihre Wäsche auszuwringen. Das Wasser tropft auf uns herab wie Regen. Jeder Schritt erinnert uns daran, wo wir enden könnten, wenn wir uns dieser Heirat verweigern.
Wir finden die Söhne des Alten Herrn Louie am Tor zum Yu-Yuan-Garten. Zuerst versuchen wir es auf Englisch, aber sie scheinen uns nicht in dieser Sprache antworten zu wollen. Ihr Vater stammt aus den Vier Bezirken von Kanton, also sprechen sie natürlich den Sze-Yup-Dialekt. Da May ihn nicht versteht, übersetze ich für sie. Auch sie haben westliche Namen angenommen, wie viele von uns. Der Ältere zeigt auf sich und sagt: »Sam.« Dann deutet er auf seinen jüngeren Bruder und verkündet auf Sze Yup: »Er heißt Vernon, aber die Eltern nennen ihn Vern.«
Ich liebe Z. G., dieser Sam Louie kann daher so perfekt sein, wie er will, er wird mir nie gefallen. Und Mays Bräutigam, dieser Vern, ist erst vierzehn Jahre alt. Er hat sich noch nicht einmal ansatzweise zum Mann entwickelt, sondern ist noch ein kleiner Junge. Baba hat geflissentlich versäumt, das zu erwähnen.
Wir mustern uns gegenseitig. Anscheinend gefällt niemandem, was er sieht. Alle richten den Blick rasch zum Boden, zum Himmel, irgendwohin. Mir kommt der Gedanke, dass die Männer uns vielleicht auch nicht heiraten wollen. Sollte das der Fall sein, könnten wir dies alle als rein geschäftliche Angelegenheit betrachten. Wir werden die Papiere unterschreiben und zu unserem normalen Leben zurückkehren, ohne gebrochene Herzen oder verletzte Gefühle. Was aber nicht bedeutet, dass die Situation weniger peinlich wäre.
»Wir könnten ein bisschen spazieren gehen«, schlage ich vor.
Keiner antwortet, doch die anderen folgen mir, als ich losgehe. Wir schlendern über die labyrinthischen Wege, vorbei an Teichen, Steingärten und Grotten. Weiden wiegen sich in der heißen Luft und erwecken damit den Anschein von Kühle. Aus Holz geschnitzte und mit Goldlack verzierte Pavillons rufen die ferne Vergangenheit wach. Alles ist so gestaltet, dass es ein Gefühl
des Gleichgewichts und der Einheit vermittelt, aber der Garten lag den ganzen Vormittag unter der sengenden Julisonne, und die Nachmittagsluft ist schwer und klebrig von Fruchtbarkeit.
Vern, der Junge, rennt zu einem der Steingärten und klettert die zerklüftete Felswand hinauf. May schaut mich an, fragt mich wortlos: Und jetzt? Ich habe keine Antwort für sie, und auch Sam bietet keinerlei Unterstützung. Sie dreht sich weg, steigt den Abhang
Weitere Kostenlose Bücher