Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
Vom Netzwerk:
minderbemittelt, zurückgeblieben, tuberkulös noch Epileptiker oder Analphabeten sind und auch nicht an psychopathischen Minderwertigkeiten leiden (was auch immer das sein mag). Sobald wir unsere Formulare unterschrieben haben, faltet sie der Alte Herr Louie zusammen und steckt sie in seine Jacke. Um sechs treffen wir uns mit unseren Eltern in einem unscheinbaren Hotel, das
auf glücklose Chinesen und Ausländer ausgerichtet ist. Dort essen wir im Speisesaal zu Abend: vier Frischverheiratete, meine Eltern und der Alte Herr Louie. Baba versucht, das Gespräch am Laufen zu halten, aber was sollen wir schon sagen? Die Kapelle spielt, doch keiner von uns tanzt. Ein Gericht nach dem anderen wird aufgetragen, aber ich bekomme nicht einmal den Reis hinunter. Baba weist May und mich an, den Gästen Tee einzuschenken, wie es sich für Bräute gehört, doch der Alte Herr Louie winkt ab.
    Schließlich wird es Zeit, uns in unsere jeweiligen Brautgemächer zurückzuziehen. Mein Vater flüstert mir ins Ohr: »Du weißt, was du zu tun hast. Sobald du es hinter dir hast, ist das hier alles vorbei.«
    Sam und ich gehen auf unser Zimmer. Er wirkt angespannter als ich. Nach vorne gebeugt setzt er sich auf die Bettkante und starrt seine Hände an. Während der stundenlangen Tagträume von meiner Hochzeit mit Z. G. malte ich mir auch unsere Hochzeitsnacht aus und wie romantisch sie sein würde. Jetzt fällt mir meine Mutter ein, und mir wird endlich klar, warum sie immer so abschätzig von dem gesprochen hat, was Eheleute tun. »Du bringst es hinter dich, und dann vergisst du es«, hat sie oft gesagt.
    Ich warte nicht, bis Sam zu mir kommt, mich in die Arme nimmt oder mir Küsse auf den Hals drückt, um mich in die richtige Stimmung zu versetzen. Ich stelle mich mitten ins Zimmer, knöpfe den Knebelverschluss am Hals auf, wandere mit den Fingern weiter zu dem über der Brust und löse dann den obersten unter der Achsel. Sam blickt auf und sieht mir zu, wie ich alle dreißig Verschlüsse öffne, die von der Achsel über die rechte Seite nach unten führen. Ich lasse mir das Kleid von den Schultern gleiten. Ich schwanke ein wenig, selbst in dieser heißen Nacht fröstelt es mich. Bis hierher hat mich mein Mut geführt, doch ich bin mir unsicher, was ich als Nächstes tun soll. Sam steht auf; ich beiße mir auf die Lippen.
    Wir sind beide sehr verlegen. Sam ist nervös und berührt mich
nur zaghaft, aber wir tun beide, was von uns erwartet wird. Ein scharfer Schmerz, dann ist es vorbei. Sam bleibt einen Augenblick über mir, auf die Ellbogen gestützt, und sieht mir ins Gesicht. Ich erwidere seinen Blick nicht. Stattdessen schaue ich auf die geflochtene Kordel, die den Vorhang hält. Ich wollte das Ganze so schnell hinter mich bringen, dass ich nicht einmal den Vorhang geschlossen habe. Bin ich deshalb gleich schamlos oder verzweifelt?
    Sam rollt von mir herunter und dreht sich auf die Seite. Ich rühre mich nicht. Ich will nicht reden, aber ich kann auch nicht einschlafen. Vielleicht ist diese eine Nacht und dieses eine Mal in einem ganzen Leben von Nächten mit meinem richtigen Ehemann, wer immer das auch sein wird, nicht besonders wichtig. Aber was ist mit May?
    Ich stehe auf, als es noch dunkel ist, bade und ziehe mich an. Dann setze ich mich in einen Sessel am Fenster und sehe Sam beim Schlafen zu. Er wacht mit einem Ruck auf, bevor es hell wird. Er schaut sich um, weiß offenbar nicht genau, wo er ist. Da entdeckt er mich und blinzelt. Seine Gesichtszüge sind offen, irgendwie verletzlich. Ich kann mir denken, was er empfindet: Er schämt sich furchtbar, in diesem Raum zu sein, und er ist ein wenig panisch, weil er nackt ist, ich nur wenige Schritte von ihm entfernt sitze und er irgendwie das Bett verlassen und sich anziehen muss. Wie in der Nacht zuvor wende ich den Blick ab. Er rutscht auf die Seite des Bettes, wo zuvor ich lag, schlüpft unter den Decken hervor und huscht ins Badezimmer. Die Tür geht zu, und der Wasserhahn wird aufgedreht.
    Als wir in den Speisesaal kommen, sitzen dort bereits Vern und May mit dem Alten Herrn Louie. Mays Haut ist alabasterfarben - weiß mit einem leichten grünen Schimmer unter der Oberfläche. Der Junge knüllt die Tischdecke mit den Fäusten zusammen. Er blickt nicht auf, als Sam und ich uns setzen, und da wird mir bewusst, dass ich Vern noch nie habe sprechen hören.
    »Ich habe schon bestellt«, sagt der Alte Herr Louie. Er wendet
sich dem Kellner zu. »Sorgen Sie dafür, dass alles

Weitere Kostenlose Bücher