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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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Kalendermädchen, denn es hat keinen Sinn, mit schönen Mädchen zu werben, wenn die Welt gerade hässlich wird.
    Dann sehen wir eines Tages den Pockennarbigen Huang aus einer Limousine steigen und die Eingangsstufen zum Peninsula Hotel hinaufgehen. Er ist es, da gibt es keinen Zweifel. Schnell kehren wir in unser Hotel zurück und schließen uns im Zimmer ein. Wir haben keine Ahnung, was seine Anwesenheit in Hongkong bedeutet. Ist er hergekommen, um dem Krieg zu entfliehen? Hat er die Geschäfte der Grünen Bande hierher verlegt? Wir wissen es nicht, und wir haben keine Möglichkeit, es mit Gewissheit herauszufinden. Aber wie dem auch sei, sein Einflussbereich ist groß. Wenn er hier im Süden ist, dann findet er uns.
    Da wir keine andere Möglichkeit sehen, gehen wir ins Büro der Dollar Steamship Line, tauschen unsere ursprünglichen Billets ein und bekommen Plätze in der zweiten Klasse auf der President Coolidge für die zwanzigtägige Überfahrt nach San Francisco. Wir denken nicht darüber nach, was wir machen sollen, wenn wir dort sind. Werden wir unsere Ehemänner suchen oder etwas anderes tun? Wir versuchen einfach nur, dem Netz der Grünen Bande zu entwischen und den Japanern zu entkommen.
     
    Auf dem Schiff bekomme ich wieder Fieber. Ich bleibe in unserer Kabine und verschlafe den größten Teil der Reise. May ist ziemlich seekrank, daher verbringt sie die meiste Zeit an der frischen
Luft auf dem Deck der zweiten Klasse. Sie erzählt von einem jungen Mann, der nach Princeton fährt, um dort zu studieren.
    »Er fährt erster Klasse, aber er kommt auf unser Deck, um mit mir zusammenzusein. Wir gehen spazieren und unterhalten uns, laufen und reden«, erzählt sie. »Ich bin bis über beide Ohren verknallt.« Diesen Ausdruck höre ich zum ersten Mal, und ich finde ihn seltsam. Dieser Junge muss sehr verwestlicht sein. Kein Wunder, dass er May gefällt.
    Manchmal kommt May erst spätnachts zurück in die Kabine. Manchmal klettert sie in die obere Koje und schläft sofort ein, aber hin und wieder kriecht sie auch zu mir in das schmale Bett und schmiegt sich an mich. Sie passt ihre Atmung der meinen an und schläft ein. Dann liege ich wach, rühre mich nicht, aus Angst, sie zu wecken, und mache mir unendlich viele Sorgen. May scheint wirklich vernarrt in diesen Jungen zu sein, und ich weiß nicht, ob sie vielleicht mit ihm tut, was Eheleute tun. Aber wie könnte sie das, wenn sie so seekrank ist? Wie könnte sie das überhaupt tun? Und dann wandern meine Gedanken an noch dunklere Orte.
    Viele Menschen wollen nach Amerika. Manche würden alles Mögliche anstellen, um dorthin zu gelangen, doch mein Traum war Amerika nie. Für mich ist diese Flucht eine reine Notwendigkeit, ein weiterer Schritt nach so vielen Fehlern, Tragödien, Todesfällen und einer dummen Entscheidung nach der anderen. May und ich haben nur noch uns beide. Nach allem, was wir durchgemacht haben, ist das Band zwischen uns so stark, dass nicht einmal ein scharfes Messer es durchtrennen könnte. Wir können nur weiter den Weg gehen, den wir eingeschlagen haben, wohin auch immer er uns führt.

SCHATTEN AN DER WAND
    Am Abend vor unserer Ankunft hole ich das Handbuch heraus, das mir Sam gegeben hat, und blättere es durch. In dem Büchlein steht, dass der Alte Herr Louie in Amerika und Sam als einer von fünf Brüdern 1913 in China geboren wurde, und zwar im Jahr des Ochsen, als seine Eltern auf Besuch in ihrem Heimatdorf Wah Hong waren. Als Kind eines amerikanischen Staatsbürgers ist er selbst auch amerikanischer Staatsbürger. (Klar, ausgerechnet ein Ochse, denke ich herablassend. Mama hat gesagt, wer in diesem Sternzeichen geboren wird, der hat wenig Fantasie und muss ewig die Last der Welt tragen.) Sam ging dann mit seinen Eltern nach Los Angeles, aber 1920 beschlossen der Alte Herr und seine Frau, wieder nach China zu fahren und ihren erst siebenjährigen Sohn in Wah Hong bei seinen Großeltern väterlicherseits zu lassen. (Das unterscheidet sich ein wenig von dem, was man mir bisher zu verstehen gegeben hat. Ich hatte gedacht, Sam sei mit seinem Vater und seinem Bruder nach China gekommen, um eine Braut zu finden, doch er lebte bereits dort. Vermutlich erklärt das, warum er bei unseren drei Treffen Sze-Yup-Dialekt statt Englisch gesprochen hat, aber warum haben uns die Louies das nicht erzählt?) Sam ist jetzt zum ersten Mal seit siebzehn Jahren wieder nach Amerika zurückgekehrt. Vern wurde 1923 in Los Angeles geboren, im Jahr des

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