Toechter Aus Shanghai
Hände und Gesicht ein, damit wir dunkler aussehen, so wie die Landbevölkerung.«
Das ist eine schlaue Idee, aber ich habe bereits eine dunkle Haut, und das hat mich auch nicht vor dem Irrsinn der Soldaten gerettet. Trotzdem trage ich von dem Moment an, in dem ich das Krankenhaus verlasse, Mays Schminke auf der Haut.
Während meines Krankenhausaufenthalts hat May einen Fischer ausfindig gemacht, der eine neue und bessere Einnahmequelle
entdeckt hat, als seine Beute unter den Wellen zu suchen. Stattdessen transportiert er nun Flüchtlinge auf den Wellen von Hangchow nach Hongkong. Als wir seinen Kutter besteigen, werden wir mit etwa einem Dutzend weiterer Passagiere in einen kleinen, sehr dunklen Laderaum gesteckt, in dem normalerweise der Fang gelagert wird. Das einzige Licht dringt zwischen den Brettern des Decks über uns durch, und es riecht penetrant nach Fisch. Im Kielwasser eines abflauenden Taifuns legen wir ab. Es dauert nicht lange, bis die Ersten seekrank werden. May ist am schlimmsten dran.
Am zweiten Tag hören wir Schreie. Neben mir beginnt eine Frau zu weinen. »Das sind die Japaner«, heult sie. »Wir werden alle sterben.«
Sollte die Frau recht haben, werde ich ihnen keine Gelegenheit geben, mich noch einmal zu vergewaltigen. Ich würde sofort über Bord springen. Im Laderaum sind die Schritte der schweren Stiefel über uns zu hören. Mütter drücken ihre Säuglinge an die Brust, damit kein Laut zu hören ist. Gegenüber von mir reckt ein Baby verzweifelt den Arm, weil es keine Luft bekommt.
May wühlt unsere Taschen durch, zieht unser letztes Geld hervor und teilt es in drei Stapel. Einen faltet sie zusammen und klemmt ihn zwischen die Holzbretter an der Decke. Sie reicht mir ein paar Geldscheine. Ich tue es ihr nach und stecke sie mir unter das Kopftuch. Hastig streift sie mir Mamas Armreif vom Handgelenk, nimmt sich die Ohrringe ab und legt sie zu den restlichen Sachen in Mamas Mitgiftbeutel. Den schiebt sie in einen Spalt zwischen dem Schiffsrumpf und der Plattform, auf der wir sitzen. Dann holt sie die Crememischung aus unserer Reisetasche. Wir reiben uns noch einmal Gesicht und Hände damit ein.
Die Luke öffnet sich, Licht fällt auf uns.
»Los, raufkommen!«, befiehlt uns eine Stimme auf Chinesisch.
Wir gehorchen. Frische, salzige Luft weht mir ins Gesicht. Unter uns brodelt die See. Ich habe zu große Angst, den Blick nach oben zu richten.
»Alles gut«, flüstert May. »Das sind Chinesen.«
Doch es handelt sich nicht um die Küstenwache, um Fischer oder Flüchtlinge, die von einem Boot auf ein anderes gebracht werden. Es sind Piraten. An Land nützen unsere Landsleute den Krieg dazu, Gegenden auszuplündern, die gerade angegriffen werden. Wieso sollte es auf See anders sein? Die anderen Reisenden haben Angst. Sie begreifen noch nicht, wie wenig der Verlust von Geld und Habseligkeiten bedeutet.
Die Piraten durchsuchen die Männer und stecken allen Schmuck und alles Geld ein, das sie finden können. Unzufrieden befiehlt der Piratenanführer den Männern, sich auszuziehen. Erst zögern sie, aber als er mit dem Gewehr droht, gehorchen sie. Versteckt in der Pofalte, eingenäht in den Saum oder das Futter von Kleidungsstücken oder verborgen in Schuhsohlen entdecken die Piraten noch mehr Schmuck und Geld.
Es fällt mir schwer, meine Gefühle zu beschreiben. Als ich das letzte Mal Männer nackt gesehen habe... Doch hier stehen meine Landsleute - sie frieren, haben Angst, versuchen ihre Scham mit den Händen zu bedecken. Ich will nicht hinsehen, tue es aber trotzdem. Ich empfinde Verwirrung, Verbitterung und ein seltsames Triumphgefühl, Männer so erniedrigt zu sehen.
Dann sollen die Frauen den Piraten alles geben, was sie versteckt haben. Da wir gesehen haben, wie es den Männern ergangen ist, gehorchen wir auf der Stelle. Ohne Bedauern ziehe ich die Geldscheine unter meinem Kopftuch hervor. Unsere Wertsachen werden eingesammelt, doch die Piraten sind nicht dumm.
»Du da!«
Ich zucke zusammen, aber er meint nicht mich.
»Was versteckst du da?«
»Ich arbeite auf einem Bauernhof«, sagt ein Mädchen zu meiner Rechten mit zittriger Stimme.
»Ein Bauernmädchen? Gesicht, Hände und Füße sehen aber nicht danach aus!«
Das ist wahr. Sie ist zwar bäuerlich gekleidet, doch ihr Gesicht
ist bleich, sie hat zarte Hände und trägt neue Oxford-Schnürschuhe. Der Pirat hilft dem Mädchen aus den Kleidern, bis es nur noch eine Binde mit Gürtel trägt. Da sind wir uns alle sicher,
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