Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
Vom Netzwerk:
nicht. Vielleicht weil ich ein Kind habe, vielleicht weil May es nicht versteht, wenn Yen-yen ihr auf Sze Yup etwas aufträgt, vielleicht auch, weil May nicht ständig Angst hat, entdeckt und mit Schimpf und Schande bedacht zu werden - sie, weil sie ein Kind bekommen hat, das nicht von ihrem Ehemann ist, und ich, weil ich nie eigene Kinder haben kann -, sodass wir am Ende gar aus dem Haus geworfen werden. Jeden Morgen, wenn Vern in seine neunte Klasse in der Central Junior High geht und May, Sam und der Alte Herr nach China City aufbrechen, bleibe ich in der Wohnung und schrubbe auf dem Waschbrett Bettwäsche, schmutzige Unterwäsche, Joys Windeln und die verschwitzten Sachen der Onkel sowie die der Junggesellen, die gelegentlich bei uns übernachten. Ich leere den Spucknapf und stelle Behältnisse für die Schalen der Wasermelonenkerne bereit, die meine Schwiegereltern gerne knabbern. Ich putze Böden und Fenster.
    Während mir Yen-yen zeigt, wie man Suppe aus einem in hei ßes Wasser getauchten Salatkopf und Sojasauce kocht, oder für das Mittagessen eine Schale Reis nimmt, Schmalz darüberstreicht und ein paar Tropfen Sojasauce dazugibt, um den Geschmack zu überdecken, geht meine Schwester auf Entdeckungsreise. Während
ich mit Yen-yen Walnüsse schäle, die wir an Restaurants verkaufen, oder den Schmutzrand in der Badewanne entferne, den der Alte Herr bei seinem täglichen Bad hinterlässt, lernt meine Schwester Leute kennen. Während mir meine Schwiegermutter beibringt, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein - was sie mit einer frustrierenden Kombination aus Unfähigkeit, guter Laune und entschlossenem Beschützergeist tut -, schaut sich meine Schwester um.
    Sam hat zwar gesagt, er würde mir China City zeigen - eine Touristenattraktion, die zwei Straßen weiter aufgebaut wird -, aber ich war immer noch nicht dort. May hingegen ist jeden Tag dort, um bei den Vorbereitungen für die große Eröffnung mitzuhelfen. Sie sagt, ich würde dort bald im Café, im Antiquitätenladen, im Trödelladen oder wo auch immer arbeiten, das hätte ihr der Alte Herr Louie an diesem Nachmittag erklärt; ich höre ihr mit einer gewissen Skepsis zu, denn ich kann mir natürlich nicht aussuchen, wo ich arbeite, wäre aber froh, keine Akkordarbeit mehr mit Yen-yen verrichten zu müssen: Schalotten zusammenbinden, Erdbeeren nach Größe und Qualität sortieren, diese verdammten Walnüsse knacken, bis meine Finger schwarz und aufgerissen sind, oder - und das ist wirklich ekelhaft - zwischen den Bädern des Alten Herrn Louie in der Wanne Bohnensprossen zu ziehen. Ich bleibe mit meiner Schwiegermutter und Joy zu Hause; meine Schwester kehrt nach Feierabend mit Geschichten von Leuten zurück, die Namen wie Peanut und Dolly tragen. In China City schaut sie unsere Kleiderkisten durch. Wir hatten ausgemacht, uns wie Amerikanerinnen zu kleiden, wenn wir in Amerika leben, aber sie bringt stur nur cheongsams mit. Die hübschesten sucht sie sich selbst aus. Vielleicht ist das auch richtig so. Wie Yen-yen sagt: »Du bist jetzt Mutter. Deine Schwester muss meinen Jungen noch dazu bringen, ihr einen Sohn zu schenken.«
    May erzählt mir jeden Tag von ihren Abenteuern, ihre Wangen glänzen rosig von der frischen Luft, sie strahlt innerlich vor
Vergnügen. Ich bin die ältere Schwester und leide an der Rote-Augen-Krankheit, dem Neid. Bisher war immer ich diejenige, die Neues entdeckte, aber jetzt erzählt May von den Läden, Geschäften und Attraktionen, die in China City geplant sind. Vieles wird aus alten Filmkulissen gebaut, die May so detailliert beschreibt, dass ich mir sicher bin, sie wiederzuerkennen und zu wissen, wofür sie vorher verwendet wurden, wenn ich sie schließlich sehe. Doch ich kann es nicht abstreiten. Es macht mir durchaus zu schaffen, dass sie Teil all des Trubels sein darf, während ich mit meiner Schwiegermutter und Joy in der schmutzigen Wohnung bleiben muss, wo mir der in der Luft schwebende Staub den Atem nimmt und mich schwindelig macht. Ich rede mir ein, dass das nur vorübergehend so ist, wie auch Angel Island nur etwas Vorübergehendes war, und dass May und ich bald - irgendwie - fliehen werden.
    Unterdessen bestraft mich der Alte Herr Louie weiterhin durch Missachtung dafür, dass ich eine Tochter geboren habe. Sam läuft mit verdrießlicher Miene herum, weil ich mich weigere, mit ihm zu tun, was Eheleute tun. Jedes Mal, wenn er sich mir nähert, verschränke ich die Arme vor der Brust und umklammere die Ellbogen. Dann

Weitere Kostenlose Bücher