Toechter Aus Shanghai
In vielen Bundesstaaten ist es Chinesen verboten, Weiße zu heiraten. Für die Vereinigten Staaten führt das zu dem gewünschten Ergebnis: Wenn sich nur wenige Chinesinnen auf amerikanischem Boden befinden, können nicht viele Söhne und Töchter geboren werden, und so bleibt es dem Land erspart, unerwünschte Staatsbürger chinesischer Abstammung anerkennen zu müssen.
An allen Tischen wollen die Männer Joy einmal halten. Manche weinen, wenn sie sie auf den Arm nehmen. Sie betrachten ihre Finger und Zehen. Unwillkürlich sonne ich mich in meinem neuen Status als Mutter. Ich bin glücklich - nicht überglücklich, aber froh und erleichtert. Wir haben es bis Los Angeles geschafft. Abgesehen von der Enttäuschung des Alten Herrn Louie über
Joy - die ich nicht in zehntausend Jahren Pan-di nennen werde -, hat er immerhin diese Feier organisiert, auf der wir willkommen geheißen werden. Ich schaue kurz zu May hinüber und hoffe, sie empfindet genauso wie ich. Aber meine Schwester erfüllt zwar ihre Pflichten als frischgebackene Braut, wirkt dabei jedoch nachdenklich und in sich gekehrt. Mir wird eng ums Herz. Das ist zwar alles sehr hart für sie, aber sie hat mich schließlich nicht meilenweit in einem Schubkarren geschoben und wieder gesund gepflegt, weil sie schwach war. Irgendwie hat meine kleine Schwester es geschafft, nicht aufzugeben.
Ich muss daran denken, dass ich mich mit May auf Angel Island vor der Geburt darüber unterhalten hatte, wie wichtig die Kraftbrühe für Mütter ist und ob wir jemanden bitten sollten, dafür zu sorgen, dass die Köche uns eine zubereiten. »Ich werde sie brauchen, wegen der Blutungen«, hatte May ganz praktisch entschieden, obwohl sie wusste, dass ihr damit auch die Milch einschießen würde. May und ich hatten uns dann die Suppe geteilt. Als Joy drei Tage alt war, ging May irgendwann in den Duschraum und kam nicht wieder. Ich ließ die Kleine bei Lee-shee und machte mich auf die Suche nach meiner Schwester. Ich hatte große Angst. Ich sorgte mich, was sie womöglich anstellen könnte, wenn man sie allein ließ. In der Dusche fand ich sie. Sie weinte, aber nicht vor Kummer, sondern weil ihre Brüste so stark schmerzten. »Das ist schlimmer als die Geburt«, schluchzte sie. Ihre Gebärmutter war geschrumpft, und auch nackt sah sie kaum so aus, als hätte sie gerade ein Kind bekommen, doch die Brüste waren geschwollen und hart wie Stein von der Milch, die keinen Ausweg fand. Das heiße Wasser half ihr, und die Milch rann heraus, tropfte von Mays Brüsten und vermischte sich mit dem Wasser, bevor sie im Abfluss verschwand.
Manch einer mag sich fragen: Wie dumm muss man sein, um sie eine Suppe essen zu lassen, durch die ihr die Milch einschießt? Aber wir wussten doch gar nichts über das Kinderkriegen. Wir wussten nicht genug über die Milch und wie weh das tun würde.
Als May ein paar Tage später bemerkte, dass ihr immer, wenn das Baby weinte, Milch heraustropfte, zog sie in ein Bett auf der anderen Seite des Raumes um. »Das Baby schreit zu viel«, erklärte sie den anderen. »Wie soll ich nachts meiner Schwester helfen, wenn ich tagsüber nicht schlafen kann?«
May ist gerade damit beschäftigt, einem Tisch voll alleinstehender Männer Tee einzuschenken und die roten Umschläge einzusammeln, die sie in die Tasche steckt. Die Männer tun ihre Pflicht und reißen ihre Witze, necken und verspotten May, und sie tut die ihre, indem sie darüber lächelt.
»Du bist als Nächstes dran, May«, johlt Wilburt, als wir wieder zum Tisch der Onkel kommen.
Charley begutachtet sie von Kopf bis Fuß und sagt: »Klein, aber Hüften gut.«
»Schenkst du dem Alten Herrn Enkelsohn, bist du sein Liebling«, verspricht Edfred.
Yen-yen lacht mit, reicht mir jedoch Joy, bevor wir zum nächsten Tisch weitergehen. Dann hakt sie sich bei May unter und hält ihr einen Vortrag auf Sze Yup. »Lass dich nur nicht ärgern von den ganzen Männern. Sie sehnen sich nach ihren Ehefrauen zu Hause. Sie sehnen sich nach Ehefrauen, die sie gar nicht haben! Du bist mit deiner Schwester hergekommen. Du hast geholfen, dieses Baby zu uns zu bringen. Du bist ein tapferes Mädchen.« Yen-yen bleibt im Mittelgang stehen und wartet, bis ich alles übersetzt habe. Dann nimmt sie Mays Hände. »Du kannst zwar von etwas befreit werden, aber dadurch wirst du nur woanders eingeengt. Verstehst du?«
Es ist schon spät, als wir zurück in die Wohnung kommen. Wir sind alle müde, doch der Alte Herr Louie ist noch nicht
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