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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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gestikuliert lebhaft und lächelt so breit, dass ich ihre Zähne sehen kann. Sie wirkt ganz anders, und trotzdem ist sie meine Schwester, wie ich sie schon immer kenne. Ihr cheongsam sitzt wie eine zweite Haut. Die Haare fallen ihr locker um das Gesicht, und mir wird bewusst, dass sie beim Friseur war. Wie konnte mir das entgangen sein? Was mich aber wirklich überrascht, ist das innere Strahlen, das wieder zurückgekehrt ist. So habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen.
    »Sie ist sehr hübsch«, bemerkt Tom, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich habe ihr gesagt, ich könnte ihr Arbeit beschaffen, aber sie fürchtet, Sie könnten etwas dagegen haben. Was meinen Sie, Pearl? Sie sehen doch, dass ich kein schlechter Mensch bin. Warum besprechen Sie nicht einmal alles in Ruhe mit May?«
    Ich verstehe die Worte, die er sagt, aber nicht ihre Bedeutung.
    Er bemerkt meine Verwirrung und zuckt mit den Schultern. »Wie dem auch sei. Auf zum Golden Dragon.«
    Als wir dort ankommen, wirft er einen kurzen Blick durch das Fenster. »Es sieht so aus, als bräuchten sie Ihre Hilfe, daher will ich Sie nicht länger aufhalten. Aber wenn Sie etwas benötigen, finden Sie mich bei der Asiatic Costume Company. May zeigt Ihnen, wo das ist. Sie besucht mich dort jeden Tag.«
    Damit macht er kehrt und verschwindet in der Menge. Ich ziehe die Tür zum Golden Dragon Café auf und gehe hinein. Es gibt acht Tische und einen Tresen mit zehn Hockern. Hinter dem Tresen steht Onkel Wilburt in einem weißen Unterhemd und einer schlichten, aus einer Zeitung gefalteten Papiermütze schwitzend über einem brutzelnden Wok. Daneben schnipselt Onkel Charley Zutaten mit einem Hackmesser. Onkel Edfred trägt Geschirr zum Waschbecken, wo Sam unter einem dampfenden Wasserhahn schmutzige Gläser abspült.
    »Hey, kann mal jemand kommen?«, ruft ein Gast.
    Sam wischt sich die Hände trocken, eilt zu mir, reicht mir einen Schreibblock, nimmt mir Joy ab und legt sie in eine Holzkiste hinter dem Tresen. Während der nächsten sechs Stunden arbeiten wir ohne Pause. Als die große Eröffnungsfeier offiziell vorüber ist, sind Sams Hemd und Hose mit Essens- und Fettflecken übersät, und mir tun Füße, Schulter und Arme weh, aber Joy schläft tief und fest in ihrer Kiste. Der Alte Herr Louie und die anderen kommen uns abholen. Die Onkel brechen dorthin auf, wo auch immer alleinstehende Männer in Chinatown abends hingehen. Nachdem mein Schwiegervater die Tür abgeschlossen hat, machen wir uns auf den Rückweg zur Wohnung. Sam und Vern gehen mit ihrem Vater voran, während Yen-yen, May und ich zehn Schritte weiter hinten folgen, ganz wie es sich gehört. Ich bin erschöpft, und Joy kommt mir so schwer vor wie ein Sack Reis, aber niemand bietet an, sie mir abzunehmen.
    Der Alte Herr Louie hat uns zwar verboten, eine Sprache zu
verwenden, die er nicht versteht, aber ich rede mit May im Wu-Dialekt, in der Hoffnung, dass Yen-yen uns nicht verrät, und im Vertrauen darauf, dass wir weit genug von den Männern entfernt sind, um gehört zu werden.
    »Du hast mir einiges verheimlicht, May.«
    Ich bin nicht böse. Ich bin gekränkt. May hat sich ein neues Leben in China City aufgebaut, während ich in der Wohnung eingesperrt war. Sie war sogar beim Friseur! Oh, wie weh das tut, nachdem es mir nun aufgefallen ist.
    »Was meinst du denn mit einiges?« Sie spricht leise - damit uns niemand hört? Damit ich nicht laut werde?
    »Ich dachte, wir hätten beschlossen, nur Sachen im westlichen Stil zu tragen, sobald wir hier sind. Wir haben ausgemacht, dass wir wie Amerikanerinnen aussehen wollen, aber du bringst mir bloß dieses Zeug.«
    »Das ist einer deiner liebsten cheongsams «, sagt May.
    »Die mag ich nicht mehr anziehen. Wir waren uns einig …«
    Sie geht langsamer, und als ich sie überholen will, greift sie nach meiner Schulter, um mich zurückzuhalten. Yen-yen läuft immer weiter und folgt gehorsam ihrem Mann und den Söhnen.
    »Ich wollte es dir nicht sagen, weil mir klar war, dass du dich aufregen würdest«, flüstert May. Zögernd tippt sie sich mit den Fingerknöcheln an den Mund.
    »Was ist denn?« Ich seufze. »Nun sag schon.«
    »Unsere Kleider im westlichen Stil sind weg. Er« - sie nickt in Richtung der Männer, aber ich weiß, dass sie unseren Schwiegervater meint - »will, dass wir nur noch unsere chinesischen Sachen tragen.«
    »Warum …«
    »Hör mir einfach mal zu, Pearl. Ich versuche schon die ganze Zeit, dir einiges zu sagen. Ich versuche dir

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