Toechter Aus Shanghai
sagt May, »fragt mich Yen-yen: ›Wo ist dein Sohn? Ich brauche einen Enkelsohn. ‹ Als ich letzte Woche von China City nach Hause kam, hat sie mich beiseitegenommen und gesagt: ›Ich habe gesehen, dass dich die kleine rote Schwester wieder besucht hat. Morgen bekommst du Spatzennieren und getrocknete Mandarinenschale, um dein chi zu stärken. Der Kräuterheiler sagt, dann heißt deine Gebärmutter die Lebensessenz meines Sohnes willkommen.‹«
Ich muss darüber lächeln, wie sie Yen-yens hohe Quietschstimme nachmacht, aber May findet das nicht lustig.
»Wieso geben sie dir keine Spatzennieren und Mandarinenschalen? Wieso schicken sie dich nicht zum Kräuterheiler?«, fragt sie.
Ich weiß nicht, warum der Alte Herr Louie und seine Frau Sam und mich anders behandeln. Yen-yen mag ja für jeden eine Anrede haben, doch ich habe nie gehört, dass sie Sam irgendwie angesprochen hätte - weder mit einer Anrede noch mit seinem amerikanischen Namen, nicht einmal mit seinem chinesischen Namen. Und abgesehen vom ersten Abend spricht mein Schwiegervater nur selten mit einem von uns.
»Sam und sein Vater kommen nicht gut miteinander aus«, sage ich. »Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
»Sie streiten ziemlich oft. Der Alte Herr nennt Sam toh gee und chok gin . Was das heißt, weiß ich nicht, aber Komplimente sind das bestimmt nicht.«
»Das heißt, dass Sam ein Faulpelz und ein Hohlkopf ist.« Da ich nicht viel Zeit mit Sam verbringe, frage ich: »Stimmt es denn?«
»Nicht nach dem, was ich gesehen habe. Der Alte Herr verlangt immer wieder, dass Sam als Rikschafahrer arbeitet, wenn China City eröffnet. Er will, dass Sam Rikschas zieht. Sam will das nicht.«
»Wer würde das schon wollen.« Ich schaudere.
»Weder hier noch sonst irgendwo«, stimmt mir May zu. »Nicht einmal, wenn es nur zur Unterhaltung ist.«
Ich hätte nichts dagegen, mich noch ein bisschen über Sam zu unterhalten, doch May kommt wieder auf das Problem mit ihrem Ehemann zu sprechen.
»Man sollte meinen, sie würden ihn behandeln wie die anderen Jungs hier und ihn nach der Schule bei seinem Vater arbeiten lassen. Er könnte Sam und mir beim Kistenauspacken helfen und für die Eröffnung von China City die Waren in die Regale einräumen, aber der Alte Herr besteht darauf, dass Vern direkt nach Hause geht und Hausaufgaben macht. Ich glaube, Vern verschwindet in seinem Zimmer und bastelt an seinen Modellen. Und das nicht mal besonders gut, soviel ich gesehen habe.«
»Ich weiß. Ich sehe ihn öfter als du. Ich bin jeden Tag mit ihm zusammen.« Ich weiß nicht, ob May meiner Stimme die Bitterkeit anhört, beeile mich jedoch, sie zu verbergen. »Jeder weiß, dass ein Sohn wertvoll ist. Vielleicht bereiten sie ihn darauf vor, eines Tages die Geschäfte zu übernehmen.«
»Er ist doch der jüngste Sohn! Das können sie nicht machen. Es wäre nicht recht. Aber Vern muss irgendetwas lernen. Mir kommt es fast vor, als würden sie ihn für immer als kleinen Jungen halten wollen.«
»Vielleicht wollen sie nicht, dass Vern weggeht. Vielleicht soll keiner von uns weggehen. Sie sind einfach furchtbar rückständig! Sieh dir doch nur an, wie wir alle zusammenleben! Die ganzen Geschäfte sind reine Familienbetriebe, die Louies verstecken ihr Geld und geben uns nicht das geringste Taschengeld.«
Das stimmt. May und ich bekommen kein Haushaltsgeld. Wir können natürlich nicht sagen, dass wir unser eigenes Geld haben möchten, damit wir von hier weglaufen und irgendwo anders neu anfangen können.
»Ich habe das Gefühl, das sind alles Bauerntrampel«, sagt May bitter. »Und überhaupt, wie Yen-yen kocht!«, fügt sie nachträglich hinzu. »Was ist das denn für eine Chinesin?«
»Wir können doch auch nicht kochen.«
»Das hat man aber auch nie von uns erwartet! Dafür hatten wir die Dienstboten.«
Wir bleiben noch eine Weile sitzen und denken darüber nach, aber was hat es für einen Sinn, sich über die Vergangenheit Gedanken zu machen, wenn sie bereits vorüber ist? May blickt hinüber zur Sanchez Alley. Die meisten Kinder sind wieder nach Hause gegangen. »Wir gehen besser heim, bevor der Alte Herr Louie uns aussperrt.«
Arm in Arm kehren wir zur Wohnung zurück. Mir ist leichter ums Herz. May und ich sind nicht nur Schwestern, sondern auch Schwägerinnen. Seit Jahrtausenden klagen Schwiegertöchter über die Mühsal im Heim ihres Mannes, wo sie unter der eisernen Faust ihres Schwiegervaters und dem schwieligen Daumen ihrer Schwiegermütter leben
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