Toechter der Dunkelheit
Marla stand plötzlich neben ihm und hielt seinen Arm, als wäre er zu krank oder zu schwach, um allein stehen zu können.
Thamars Blick suchte nach Maondny. Wie zwei Sterne funkelten ihre goldenen Augen, sie lächelte verträumt, als sie sich ihm wieder geistig zuwandte.
„Wusstest du, dass Visionen wie kleine Flammen sind, die ein unendlich verschlungenes Labyrinth erhellen? Blind stolpern unmagisch Geborene durch das Labyrinth des Lebens, wissen nie: Sind wir am Anfang unseres Weges? Oder ganz nah dem Ende? Ist die rechte Abzweigung besser als die linke? Vielleicht wäre es besser, ein Stück zurückzulaufen und es von vorne zu versuchen? Für diejenigen, die sehen können, entflammen Visionen die Nacht, zeigen, wohin ein Weg führt … Du bist nicht weniger blind und verloren als alle anderen Sterblichen, doch du bist auch ein Licht in der Dunkelheit. Ob du es nun willst oder nicht. Egal, wofür du dich entscheidest, du wirst anderen den Weg weisen. Dies ist dein Schicksal, Prinz von Roen Orm. Dies hat mich zu dir geführt.“
Er stöhnte innerlich auf. „Ich will nichts lieber sein als einfach nur Thamar, der arme Blinde, wenn du aufhörst, von Schicksal zu reden, Maondny!“, dachte er. Das warme Leuchten ihrer Augen, die Aufmerksamkeit in ihrem sonst so entrückten Gesicht schenkte seinem aufgewühlten Verstand Ruhe. Solange er sie auf seiner Seite wusste, würde er überall hingehen.
Ich bin ein Narr, genauso gut könnte ich nach den Sternen greifen!
Sanft löste er sich aus Fin Marlas Griff und nickte den erwartungsvollen Frauen zu.
„Ich will mich heute nicht endgültig festlegen. Doch Kythara, Ihr habt Euch nicht getäuscht: Meine Rache suche ich auf jeden Fall. Ob ich danach die Königswürde anstrebe, weiß ich noch nicht. Ilat soll allerdings durch meine Hand sterben, nicht durch ein Attentat der dunklen Seite.“
„Nun, Maondny, habe ich einen neuen Weg beschritten? Nähere ich mich dem Ende oder dem Anfang des Labyrinths?“, dachte er so intensiv wie möglich, während er sich von Kythara Richtung Tür schieben ließ.
„Das hängt davon ab, ob du die folgende Nacht überleben wirst.
Vielleicht hättest du dich lieber von meiner Mutter abführen lassen sollen wie ein krankes Kind, statt dich den Klauen dieses Raben auszuliefern?“
Thamar erstarrte kurz, doch Kythara führte ihn unerbittlich weiter, während Maondny in seinem Kopf voller Übermut lachte.
17.
„Einst lag ich in den Armen eines Weibs, und sie zeigte mir die Liebe der dunklen Göttin. Ich schwöre, es war wert, dafür zu sterben ... Und fast wäre ich gestorben, denn sie zeigte mir danach, warum man diese Göttin dunkel schimpft ...“
Zitat aus „Zwischen den Welten“, Reiseerinnerungen, von Erim Hargalt, Adliger aus Roen Orm
Kythara führte den jungen Prinz zu einer der kleinen Holzhütten am Waldrand, die für Gäste bereit standen. Er bewegte sich steif, unsicher, mit allen Anzeichen von
offensichtlicher Angst sowie Erschöpfung. Beinahe hätte er ihr Mitleid erweckt – beinahe.
„Verzeiht den Mangel an Luxus, für gewöhnlich stammen unsere Gäste aus einfacheren Verhältnissen“, sagte sie lächelnd und zwang Thamar sich auf einen Holzstuhl zu setzen, während sie geschäftig umherwirbelte. Blitzschnell hatte sie ein Feuer im Kamin entzündet, Wasser und Essen bereitgestellt und das Bettzeug aufgeschüttelt. Sie wusste, dass sie die ganze Zeit wie eine erhabene Königin, nicht wie eine Hausfrau wirkte. Daran hatte sie jahrhundertelang gearbeitet.
„Oh bitte, keine Umstände, ich musste auf meiner Flucht schon in Misthaufen und Viehställen schlafen, es ist vollkommen hier“, stammelte der Prinz, und sah dabei gleich noch viel jünger aus, als er war.
„Das muss schrecklich für Euch gewesen sein. Und diese Elfen haben Euch keine Ruhe gegönnt, wie man sieht. Kommt, lasst Euch helfen, Ihr zittert ja am ganzen Leib!“ Sie packte energisch zu und wusch ihm Hände und Gesicht, als wäre er schwer krank. Seine schwache Gegenwehr ignorierte sie ebenso wie seinen gemurmelten Protest, dass alles in Ordnung sei und er wirklich keine Hilfe brauche. Die unterdrückte Panik in seinen grauen Augen gefiel Kythara ausgesprochen gut.
Zu lange habe ich nicht mehr gespielt!
Sie schnitt ihm Früchte und Brot in mundgerechte Stücke, sprach dabei weiter ununterbrochen auf ihn ein.
„Und seht hier, das
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