Toechter der Dunkelheit
Erfolg hatte. Nachdem Ihr befreit wurdet, hatten wir vorsorglich entschieden, dass es nichts schaden könnte, die Sonnenpriester ein wenig zu verwirren. Allerdings dachten wir, Ihr wäret auf der Flucht umgekommen.“
„Was also wollt ihr von mir, als Gegenleistung für mein Leben, meine Rache und meinen Herrschaftsanspruch?“
Fin Marla regte sich und sprach laut: „Wir Elfen verlangen freien Zutritt zum Weltenstrudel, wann immer wir es für den rechten Augenblick halten, dorthin zu gehen. Ich habe Euch nicht alles erzählen können, Thamar, aber warum wir gehen müssen, habt Ihr verstanden.“ Er nickte, ermutigt von dem Tonfall und der Wortwahl der Elfe. Sie vertraute ihm, stellte ihn nicht in Frage – vielleicht sah sie sogar mehr in ihm als eine Kriegswaffe?
„Wir Hexen erwarten Unterstützung in unserem Kampf gegen die Sonnenpriester“, begann Kythara, doch als sie Thamars entsetztes Gesicht bemerkte, brach sie ab.
„Verzeiht, das kann ich Euch nicht garantieren! Niemand, nicht einmal der König selbst, kann die Sonnenpriesterschaft aus Roen Orm verbannen!“, stammelte er.
„Das wollte ich damit auch nicht ausdrücken. Im Gegenteil, es wäre der Anfang von Roen Orms Untergang, so etwas zu versuchen. Die Sonnenpriester sind wichtig für die Menschheit. Alles, was lebt, ist abhängig vom Licht der Sonne, wir leben durch die Kraft von Ti genauso wie von Pya. Menschen können die Hoffnung, die der feurige Gott ihnen schenkt, niemals entbehren. Die Priester verrichten sein Werk auf Enra, handeln – meistens zumindest – in seinem Namen. Aber die Menschen benötigen auch die Dunkelheit der Nacht, um ruhen zu können. Sie brauchen Regen, sie brauchen Wasser, reinigende Gewitter. Sie können ohne Verzweiflung, Hass und Tod, Geheimnisse und Widersprüche, Krankheit und Verderben nicht leben. – Ich weiß, das klingt widersinnig für Euch. Dies alles bekämpfen die Sonnenpriester mit zu viel Erfolg, Thamar. Sie lassen kein Gleichgewicht zu. Diese Möglichkeit erwarten wir von Euch, nicht mehr und nicht weniger. Ihr sollt Hexen, die in Roen Orm ihr Werk verrichten, nicht verfolgen, sondern ignorieren. Lasst sie im Schutz der Dunkelheit arbeiten, sorgt nur dafür, dass man es ihnen nicht allzu schwer macht. Ihr werdet als König das Recht haben, die Wahl des Erzpriesters zu treffen. Nutzt diese Macht, wenn sie Euch zufällt, und gebt Eure Stimme gemäßigten Kandidaten. Die Fanatiker der vergangenen Jahrzehnte haben zu vielen unschuldigen Frauen, deren einziges Verbrechen darin lag, als Frau geboren zu sein, den Tod gebracht.“
Nachdenklich legte Thamar den Kopf zur Seite. Obwohl seine letzten Jahre in Roen Orm fast ausschließlich auf den Kampf ums Überleben ausgerichtet gewesen waren, hatte er durchaus miterlebt, wie oft Scheiterhaufen auf den Marktplätzen errichtet worden waren, wie viele Menschen man von den Klippen ins Meer gestoßen hatte. Die Sonnenpriester waren allgegenwärtig auf den Straßen und im Palast. Was sie predigten, klang oft genug gefährlich und menschenverachtend. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, den Glaubenseiferern nicht so fraglos zu folgen wie Ilat …
Hastig verdrängte er alle Gedanken und Erinnerungen an seinen Bruder wie auch Ti-Priester. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt zusammenzubrechen!
„Ihr habt meine Tochter gesehen, Prinz Thamar“, meldete sich eine blonde Frau zu Wort, die bis dahin schweigend neben Kythara gesessen hatte. Sie sah zu jung aus, um Mutter von mehr als einem Kleinkind sein zu können, doch aus ihrem traurigen Blick sprachen Alter, Weisheit und Schmerz, den nur die Last vieler Jahre bringen konnte.
„Inani wäre beinahe das Opfer eines solchen fanatischen Priesters geworden. Wenn sie diese Begegnung überwunden hat, wird sie der Welt nicht mehr mit ausgefahrenen Krallen und Raubtieraugen begegnen müssen. Doch bedenkt, es liegt in Eurer Hand, die Kinder und Frauen von Roen Orm zu beschützen, falls Ihr König werdet. Es wird nicht leicht sein, die Priesterschaft zu beeinflussen, die besonnenen Denker nach vorne zu bringen und die Fanatiker auszumerzen. Wir erwarten kein Wunder von Euch in Dingen, an denen wir selbst seit hunderten von Jahren gescheitert sind. Was immer aber Ihr tun könnt, damit zwölfjährige Mädchen nicht von übereifrigen Gotteskriegern mit dem Tod bedroht werden, ich bitte Euch: Tut es!“
Thamar senkte den Blick vor dem offensichtlichen Schmerz, den die Hexe offenbarte. Sie war die Erste, die ihn bat statt
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