Toechter der Dunkelheit
griff nach einer Phiole, die sie mitgebracht hatte und ließ etwas von dem gelblichen, nach Honig duftenden Öl über seinen Rücken laufen. Mit behutsamen Bewegungen verteilte sie das Heilmittel und lächelte, als Thamar sich seufzend entspannte.
„Das tut gut“, sagte er und ließ sich widerstandslos auf den Rücken drehen, damit Kythara auch die Narben an Brust, Bauch und Armen behandeln konnte.
„Wie hast du so lange überleben können? Dein Bruder muss dich bis auf die Knochen gepeitscht haben, um dich so zu verwunden.“
Ein düsterer Schatten glitt über Thamars Gesicht.
„Das hat er“, erwiderte er rau. „Immer, wenn er zu mir kam, brachte er einen Priester mit. Wenn ich zu sterben drohte, hat der Priester mich magisch soweit geheilt, dass ich noch einen weiteren Tag überleben konnte.“
Schockiert schüttelte Kythara den Kopf. „Das ist nicht die Art der Sonnenpriester. Sie mögen grausam mit jenen umgehen, die sie für Gotteslästerer halten. Aber dein einziges Verbrechen lag darin, als überzähliges Kind geboren worden zu sein. Eigentlich ist ihnen die Erdmagie zur Heilung auch gar nicht zugänglich … Ihre Folterrituale sind entsetzlich, doch in ihrem Glauben dienen sie damit ihrem Gott, nicht ihrer Freude. Wenn sie foltern, dann rasch und effektiv.“
„Er hatte genau so viel Freude daran wie Ilat selbst.“ Thamar ballte die Fäuste, rollte sich stöhnend zusammen. Kythara zog ihn in ihre Arme. Er wehrte sich, versuchte, sie fortzustoßen, aber sie war zu stark für ihn. Schließlich sank er erschöpft zusammen, ließ zu, dass sie ihn langsam wiegte, seinen Kopf streichelte und dabei Worte in einer Sprache flüsterte, die er nicht verstand.
Thamar kämpfte um seine Selbstbeherrschung, um nicht jämmerlich loszuweinen, doch die unterdrückten Schmerzen und Erinnerungen drängten nun mit Macht heraus. Hilflos wand er sich in Kytharas Armen, klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender an eine Rettungsleine, um einen Moment später darum zu ringen, von ihr fort zu kommen.
„Lass los“, flüsterte die Hexe, „kämpfe nicht, lass dich einfach fallen. Ich fange dich auf. Du musst mir nicht vertrauen, du musst mich nicht einmal mögen. Verstehe einfach nur, dass ich die Kraft habe, dich zu halten.“
„Ich kann nicht ... bitte ...“ Wimmernd krampfte er sich zusammen, als eine neue Welle des Schmerzes ihn überrollte. Sie hatte die Qualen seines Körpers gelindert und dabei den Schutzdamm in seinem Inneren zerstört.
„Kämpfe nicht gegen mich. Ich kann dir helfen, aber nur, wenn du es zulässt! Lass mich in deinen Geist eindringen.“
Er spürte, wie sein ganzer Leib unkontrolliert zu zittern begann. Seine Schutzmauern versagten, er verlor dieses Gefecht.
„Thamar, du brichst zusammen. Wenn du mich helfen lässt, kann ich dir Heilung schenken. Wenn nicht, wird deine Seele zugrunde gehen. Gib nicht auf!“
Verzweifelt schüttelte er den Kopf. Was wollte sie nur von ihm, diese fürchterliche Hexe? Wie sollte er ihr gestatten, das Wenige, was von seinem Selbst noch übrig war, zu berühren? Er schrie, gepeinigt von Erinnerungen, die zu schrecklich waren, um sie zu begreifen. Ruhe. Er wollte Ruhe und Frieden, das sollte aufhören! All dieser Schmerz ...
„Thamar, hörst du mich? Gib nicht auf, das erlaube ich nicht!“ Es klatschte, als sie ihm ins Gesicht schlug. Einen Moment lang war er abgelenkt von seiner Suche nach einem dunklen, stillen Ort in den Tiefen seiner Seele, an dem er sein Bewusstsein verstecken konnte. Überrascht öffnete er die Augen und sah auf in das zornige Gesicht der Hexenkönigin. Feurige Wut, Angst, Entschlossenheit, all dies las er in ihrem Blick.
„Thamar, lass dir helfen!“
Er hörte die Angst in ihrer Stimme. Fürchtete sie um ihn? Oder fürchtete sie, eine wertvolle Marionette für ihre Intrigenspiele zu verlieren?
„Ich kann nicht“, wisperte er, zu matt, zu elend, um sich zu wehren.
„Habe ich mich doch getäuscht? Bist du zu feige, um deinem Bruder gegenüber zu treten? Bist du zu schwach, um deine Rache zu nehmen? Hast du nicht genug Ehre im Leib, um dein Versprechen gegenüber den Elfen zu halten?“ Kytharas Hände schüttelten ihn durch, ihre vorwurfsvollen Worte quälten ihn.
„Was soll ich denn tun?“, flüsterte er. Tränen flossen ungehindert über sein Gesicht, er spürte sie kaum. Was war nur los? Gerade eben hatte seine Fassade noch standgehalten, und plötzlich brach er zusammen. Warum nur?
„Du musst nicht viel tun.
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