Toechter der Dunkelheit
lieferte Dror ausgebildete Kriegspferde nach Roen Orm. Sehr viele Gesetze befassten sich mit Wohl und Wehe der Pferde, die offensichtlich höher geschätzt wurden als die Menschen selbst. Leidlich interessiert las Thamar von den Vorschriften, wie lang eine Reitgerte höchstens sein durfte, aus welchem Holz man sie zu schneiden hatte und in welchen Situationen sie einzusetzen war, welche Anzahl an Schlägen niemals überschritten werden durfte und was einem Menschen drohte, wenn er diese Regel brach. Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter.
Kampfbereit sprang er auf, er hatte nicht gehört, dass jemand in seine Hütte gekommen war. Eine schwarz verhüllte Gestalt stand vor ihm, doch rasch wurde die Kapuze zurückgezogen und er erkannte Maondny. Erleichtert sank Thamar auf seinen Stuhl zurück und versuchte sein jagendes Herz zu beruhigen.
„Du! Ah – seit wann bist du wieder zurück?“, rief er gehetzt. Die beiden Elfen waren heimgekehrt, ohne sich von ihm zu verabschieden, was er sehr bedauert hatte.
„Seit gerade eben.“ Maondny schenkte ihm ein stilles Lächeln aus blauen Augen, die ganz und gar in dieser Welt weilten. Ein seltener Anblick, wie er inzwischen wusste.
„Hier, setz dich“, bot er ihr an, doch sie schüttelte den Kopf.
„Ich muss gleich wieder zurück, aber ich wollte den Moment ausnutzen. Meine Familie beachtet mich gerade nicht und keine der Hexen versucht dich zu foltern.“
Verwirrt wartete er ab, wohin das führen würde. Wollte sie ihn vor etwas warnen? Eine neue Vision? Überrascht bemerkte er die offensichtliche Verlegenheit der jungen Elfe, ihre geröteten Wangen, die Art, wie sie mit den Falten ihres Umhanges spielte.
„Thamar, ich wollte dir sagen ...“ Sie beugte sich vor und küsste sanft seine Wangen. Er blieb still sitzen, wagte nichts zu erwidern oder sich zu regen, sondern sah sie nur aus großen Augen an.
„Achte gut auf dich. Die nächsten Jahre werden sehr schwierig werden.“ Mit diesen Worten verließ sie seine Hütte.
Einen Moment lang starrte Thamar ihr fassungslos hinterher, doch dann rannte er hinaus in die Dunkelheit.
„Maondny?“, rief er unsicher. Nebel wallte um seine Stiefel, ein sicheres Zeichen, dass sie bereits auf dem Weg zurück in ihre Welt war.
Maondny hörte seinen Ruf, blieb allerdings nicht stehen. Sie durfte es nicht. Sie musste Kythara folgen, sonst würde sie im Nebel verloren gehen. Ihre Mutter würde ihr den Kopf abreißen, wenn sie ahnte, was ihre Tochter hier getan hatte.
„Halt dich fern von dem Menschen, Kind. Er ist ein guter Junge, ohne Zweifel, doch du würdest nur Unglück über euch beide bringen. Dein Schicksal verbietet, dass du dich einem Mann in Liebe nähern darfst. Zudem ist er ein Sterblicher, in wenigen Jahren wird sein Licht verlöschen. Bleib fern von ihm, es ist für ihn schon jetzt zu schmerzhaft!“
„Oh ja, Mutter, du hast Recht, so sehr Recht. Und du ahnst nicht, wie egal mir das ist!
Nicht jeder Schmerz ist unwillkommen “, flüsterte sie, dankbar für den undurchsichtigen Nebel, in dem niemand sie sah oder hörte – nicht einmal Kythara, die von Maondnys Anwesenheit nichts wusste. Zum ersten Mal in ihrem Leben versuchte sie, anderen nahe zu kommen. Es quälte sie, bescherte ihr aber auch ein tieferes Verständnis der Schicksalswege, veränderte ihre gesamte Sicht auf den magischen Zeitstrom.
Dazu waren die Sinneseindrücke so überwältigend für ihren Körper, der es gewohnt war, ständig in irgendeiner dunklen Ecke stillhalten zu müssen und bis an den Rand des Todes vernachlässigt zu werden. Es war wie ein Rausch.
Ich will mehr davon! Ich will leben! Wenigstens ein bisschen!
Sobald sie wieder in ihrer Baumbehausung war, sank sie auf ihrem Bett nieder. Visionen tanzten am Rand ihres Bewusstseins, wollten sie tiefer hinein locken in den Schicksalsstrom. Doch Maondny fand keine Ruhe, irgendetwas gab es, was sie tun musste.
Plötzlich sprang sie auf und rannte leichtfüßig über die Zweige ihres Wohnbaumes, hüpfte grazil und ohne ein einziges Blatt zu knicken oder einen Ast zu verletzen zum nächsten. Innerhalb weniger Augenblicke erreichte sie die Hütte ihres Bruders und trat ein, ohne um Erlaubnis zu fragen.
„Maondny, was ...“ Anovon ließ das Werkzeug fallen, mit dem er gerade neue Pfeile herstellte und starrte sie erschrocken an. Jeder wusste, es bedeutete selten etwas Gutes, wenn Maondny aufgeregt war.
„Anovon, steh da nicht herum, raus mit dir!“, zischte sie ihn
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