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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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er gesehen hatte, wie eine meiner Freundinnen auf den Rand des Abgrunds zuging, war er gekommen und hatte mich gewarnt. Er zumindest war menschlich. »Machen Sie’s sich bequem, Carol«, hörte ich ihn sagen, »ruhen Sie sich aus. Sie gehen heute nicht zum Unterricht?«
    »Nein.«
    »Das kann man Ihnen nicht übelnehmen. Sie haben ein hartes Wochenende hinter sich.«
    Ich nickte.
    »Zu scheußlich diese Geschichte mit Sonny Kee. Er war ein Miststück, ja, das war er. Eine schreckliche Sache, das mit dem Mädchen. Schrecklich. Es tut mir weh, Carol. Sie verstehen, wie ich das meine? Ein so reizendes Mädchen. Ganz reizend. Hübsch wie ein Bild.«
    »Ja. Sie war schön.«
    »Maxwell sagt mir, Ihre rothaarige Freundin hat auch Ärger gehabt?«
    »Ja. Sie ist nach Hause geschickt worden.«
    »Hart, wie? Und alles kommt auf einmal.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »So ist das Leben. Es ist immer dasselbe. Kummer? Bruder! Der kommt immer gleich dutzendweise... Hören Sie mal, Carol.«
    »Ja?«
    Er runzelte die Stirn. »Möchten Sie nicht eine Weile ‘raus hier? Fort von dem Hotel, fort von diesen bedrückenden Erinnerungen, fort von der Fluggesellschaft? Sie wollen doch nicht den ganzen Tag hier sitzen und Trübsal blasen, wie?«
    Ich antwortete nicht. Ich schaute ihn an und hörte ihm zu.
    »Kommen Sie. Wir essen zusammen zu Mittag. Na, wie wär’s?«
    »N. B.«, sagte ich, »Sie sind lieb. Ich wüßte nichts Angenehmeres, als mit Ihnen essen zu gehen.«
    Er lehnte sich zurück mit einem breiten glücklichen Lächeln.
    »Na, Junge! Das ist großartig!«
    »Ich geh nur schnell nach oben und zieh mich um. Ich bin bald wieder unten, N. B.« Und ich verschwand hinaus ins Appartement.
    Vielleicht unterstützte die Limonade aufs neue die Wirkung der Schlaftabletten, denn als ich meinen schwarzen Badeanzug auszog, kehrte ein gut Teil meiner Mattigkeit zurück, und mit ihr ein gut Teil meines Zornes vom Abend vorher. Dieses verdammte Appartement war so leer. Es war wie ein Luxusfriedhof. Nun ja, Jurgy würde spät am Abend zurückkehren (wenn man nicht beschloß, auch sie auf der Stelle hinauszuwerfen); aber man sehe sich nur den Rest des Appartements an! Annettes Bett, leer. Donnas Bett, leer. Almas Bett, leer für immer. Es regte mich in solchem Maße auf, daß ich hin und her lief, ohne einen Faden Zeug auf dem Leibe, blind vor Wut und schwindlig durch die Schlaftabletten, und ich murmelte vor mich hin und wütete gegen Mister Garrison und Doktor Ray Duer und all die anderen dieses buntscheckigen Haufens, bis ich auf Donnas Bett am Fenster fiel, weil ich nicht mehr schnaufen konnte. Und als mein Atem und meine Kräfte zurückkehrten, machte ich mich daran, mich anzuziehen, wobei ich immer noch schimpfte und wütete und auch hin und wieder weinte; und ich beschloß, mich in ein Kleid zu werfen, das ich bisher nie zu tragen gewagt hatte, weil es mir ein wenig zu herausfordernd vorgekommen war für Magna International Airlines erhabene Maßstäbe — ein trägerloses Gewand in einem sanften, tiefen Rosa. Aber ehe ich es anzog, stelzte ich ins Badezimmer in Schlüpfer und hochhackigen Schuhen und trug meine Kriegsbemalung auf. So langsam bekam ich Übung in dieser Prozedur, und das Ergebnis war geradezu exotisch.
    Dann warf ich mich in mein trägerloses Kleid. Junge! Diese bronzenen Schultern, diese gebräunten Arme — ich? Thompson? Dieser goldene Haarschopf — Thompson? Dieser schwellende Busen — Thompson? Nun, es mußte wohl so sein. Zu dem Kleid gehörte eine Stola. Ich schlang sie mir um. Und ehe ich ging, blieb ich einen kurzen Augenblick stehen, um noch einmal diese leeren Betten anzuschauen. Ich sagte laut und fest: »Zum Teufel mit Ihnen, Mister Garrison. Zum Teufel mit dir, Magna International Airlines. Zum Teufel mit dir, Doktor Ray Duer«, und ich klapperte hinaus, würdevoll, damenhaft, aufrecht, und so schwindlig, als wäre ich eben aus einem Mixbecher gestiegen.

    N. B. war so überrascht, daß er ausrief: »Miß Thompson, ich muß Sie wohl wieder Carol nennen.« Es sollte ein Kompliment sein für meine damenhafte Aufmachung, aber in seiner Verwirrung sagte er es falsch herum, und das machte es zu einem doppelten Kompliment. Sein Wagen konnte sich sehen lassen, ein metallgrauer offener Lincoln, und als ich »Olala!« machte, meinte er, schließlich müsse er Schritt halten, da er ja auch mit einem Bein in der Autobranche stecke. Er war ein unwahrscheinlich guter Fahrer, und der Lincoln wand sich

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