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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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der Stimme, die da meinen Namen aussprach. Ich sank auf eine Sessellehne und hauchte: »Ja?«
    »Hier ist Ray Duer.«
    Es gelang mir zu sagen: »Oh, hallo, Doktor Duer.«
    »Wie geht es dir?«
    »Gut. Sehr gut. Und wie geht es Ihnen, Sir?«
    Ich hätte ihn nicht Sir nennen sollen. Ich wußte es in dem Augenblick, da mir das Wort herausrutschte.
    Er beantwortete meine Frage kurz angebunden. »Mir geht’s gut. Danke.«
    »Wie geht es Ihrer Hand?«
    »Meiner Hand? Ah, ja. Sie ist wieder heil, danke.«
    »Das freut mich«, sagte ich. Allmählich kam ich wieder zu Atem.
    Er sagte: »Tust du irgend etwas Besonderes?«
    Ich sagte: »Ich arbeite immer noch für Magna International Airlines. Ich weiß nicht, ob Sie das als etwas Besonderes bezeichnen. Es macht mir Spaß.«
    »Ich meine jetzt. Heute abend.«
    Ich sagte: »Ich treffe Vorbereitungen für den Flug morgen früh. Nach Europa. Ich habe wahnsinnig viel zu tun.«
    »Kann ich dich für ein paar Minuten sehen?«
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Es tut mir sehr leid.«
    Es mußte sich wohl in mein Gehirn eingegraben haben wie ein Muster. — Ray Duer brauchte nur zu sagen >Kann ich dich sehen?< und die Antwort kam automatisch: >Es tut mir leid.< Ich hätte schreien mögen >Ray, natürlich, natürlich, wo bist du, ich bin in fünf Sekunden da, ich renne.< Aber das Muster in meinem Gehirn gab die Antwort für mich.
    Er sagte: »Carol, ich möchte mit dir sprechen.«
    »Es tut mir leid.«
    »Bist du immer noch böse wegen Donna Stewart?« Er wartete nicht auf eine Antwort. Er lachte und fuhr fort: »Nun schön, ich kann dir auch so sagen, um was es sich handelt. Carol, ich bin morgen auf deinem Flug.«
    »Auf meinem Flug?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, Sie irren sich. Ich bin auf einem Charterflug nach Paris —«
    »Ich weiß.«
    Ich wiederholte: »Aber es ist ein Charterflug —«
    »Ich weiß! Ich weiß! Darüber wollte ich mit dir sprechen, deshalb wollte ich dich sehen. Ich fand, ich müsse es dich im voraus wissen lassen, daß ich auf diesem Flug sein werde.«
    »Ich verstehe immer noch nicht. Wieso glauben Sie, mir diese Mitteilung schuldig zu sein?«
    »Weil es dir vielleicht nicht lieb sein könnte. Weil es viellecht mehr Schaden als Gutes anrichten könnte.«
    Ich sagte: »Doktor Duer. Sie sind zufällig ein bedeutender Mitarbeiter der Magna International Airlines. Ich bin niemand. Ob mir etwas lieb ist oder nicht, hat nichts mit den Tatsachen zu tun. Wenn Sie die Genehmigung haben, mit dieser Maschine zu fliegen, dann fliegen Sie, Sir.«
    »Ich könnte mit einer anderen Maschine fliegen.«
    »Sir, das bleibt Ihnen überlassen.«
    »Bei Gott«, sagte er. Und offensichtlich konnte er sich selbst nicht trauen, weiterzureden. Er hängte auf.
    Ich rührte mich nicht vom Fleck, eine Ewigkeit nicht. Ich saß da, erstarrt, den summenden Hörer in der Hand, und fragte mich, wie das alles hatte geschehen können, wie ich ihn wiederum hatte abweisen können, wie ich so dumm und eigensinnig hatte sein können. Ich grübelte, wie ich wohl je mit mir weiterleben könne nach dieser kurzen und grausamen Unterhaltung mit ihm. Ich dachte, wenn ich ihn, wie er vorgeschlagen hatte, ein paar Minuten lang gesehen, wenn ich genügend Mut gehabt hätte, vielleicht wäre dann alles ins Gleis gekommen zwischen uns, vielleicht. —
    Ich legte den Hörer auf und ging im Wohnzimmer auf und ab, die Arme über den Bauch gelegt, als brennten mir plötzlich sämtliche Eingeweide. Vor allem aber, was wollte Ray Duer auf diesem Flug? Schließlich hatte Luke Lukas diese Maschine von Magna International Airlines gechartert, um siebzig Viehzüchter zu einem viertägigen Ausflug nach Paris zu bringen. Diese Maschine gehörte gewissermaßen ihm, und niemand konnte an Bord klettern ohne seine Genehmigung, außer der Besatzung natürlich und der vier kleinen Stewardeß-Damen. Aber Ray Duer? Warum? Er flog nicht die Maschine, er setzte den Passagieren kein Essen vor. Diese Viehzüchter brauchten auf ihrem Ausflug einen Psychiater ebensowenig wie ein Loch im Kopf.
    Und ganz langsam dämmerte mir, warum Jurgy die ganze Woche lang so mürrisch zu mir gewesen war, warum sie vor sich hingebrütet und auf den Fingernägeln gekaut hatte. Das war so ihre Art, zu verraten, daß sie etwas im Schilde führe — wie an jenem Samstagmorgen, an dem sie mich hierhergeschleppt hatte, um mir die Wohnung zu zeigen. Jetzt ging mir ein Licht auf, ich stellte Mozart abrupt ab und setzte mich hin, voll stummer Wut, und wartete

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